Night School 01 - Du darfst keinem trauen
wollten einfach mal raus, und das haben wir dann gemacht.«
»Im strömenden Regen.«
Allie hatte die Nase voll von der Fragerei. »Wir dachten eben, das wäre lustig«, sagte sie. »Außerdem könnte ich dich genau das Gleiche fragen: Was hast du denn bei strömendem Regen da draußen gemacht?«
Er musterte sie interessiert, so als sähe er auf einmal etwas Neues an ihr, das ihm vorher gar nicht aufgefallen war.
»Da hast du auch wieder recht, ma belle .« Zum ersten Mal klang seine Stimme kühl und distanziert. Offenbar hatte sie einen Nerv getroffen.
»Wie geht es Phil?«, fragte sie, um auf sichereres Terrain zu wechseln.
»Er ist übel gestürzt und hat ziemlich viel Blut verloren. Ein paar Tage wird’s wohl dauern, bis er wieder auf dem Damm ist.«
Noch ehe sie den Mund aufmachen konnte, um zu fragen, was da draußen eigentlich vorgefallen war, fuhr er fort.
»Du solltest was Warmes trinken«, sagte er. »Komm mit. In der Küche gibt es heiße Schokolade.«
»Nein.« Allies Reaktion war viel panischer, als es die Situation eigentlich erfordert hätte. Sylvain zog überrascht die Augenbrauen hoch, und Allie setzte stammelnd zu einer Erklärung an. »Ich … Ich muss noch was erledigen. Lass uns lieber morgen reden, ja? Ich muss noch …«
Da ihr die Argumente ausgingen, flitzte sie an ihm vorbei zur Bibliothek. Sie war leer. Selbst der Schreibtisch der Bibliothekarin war verwaist. Allie rannte über die weichen Teppiche nach hinten zum Magazin und verschwand im Schatten zwischen zwei hohen Bücherregalen.
Sie hörte, wie hinter ihr die Tür auf- und wieder zuging. Sylvain rief zweimal leise ihren Namen. Nach einer Minute öffnete und schloss sich die Tür wieder. Um auf Nummer sicher zu gehen, blieb Allie noch eine Weile in ihrem Versteck. Sie zählte langsam bis zweihundert. Als sie nichts mehr hörte, kam sie aus dem Magazin hervor und öffnete die Bibliothekstür, um in den Gang hinauszuspähen. Sylvain war weit und breit nicht zu sehen. Allie seufzte erleichtert.
Die Tür zum Rittersaal ließ sich geräuschlos öffnen. Die Beleuchtung war ausgeschaltet, doch vom entfernten Ende des riesigen, leeren Raums kam ein schwaches Leuchten. Zögernd ging Allie darauf zu.
»Carter?«, wisperte sie.
Ein gespenstisches »Buuhuu« hallte durch den Raum.
»Lass den Scheiß, Carter.«
Ein Kichern.
Sie näherte sich dem Licht und sah, dass Carter sich in einen Sessel gefläzt hatte. Die Füße ruhten auf einem Tisch, der von mehreren Kerzen beleuchtet wurde. Carters Stirn war ordentlich bandagiert, und er hielt ein Buch in der Hand, das er nun lässig zu Boden fallen ließ.
Neben ihm stand ein zweiter Sessel. Er machte eine einladende Geste und sagte: »Setz dich.«
»Sag mir nicht, was ich zu tun habe«, knurrte Allie.
Er lächelte finster. »Verzeihung, ich wollte nur höflich sein.«
Sie ging nicht darauf ein. »Was macht dein Kopf?«
Er winkte ab. »Alles bestens.«
Eine Pause entstand.
»Und, worum geht’s?«, fragte Allie schließlich, um das Schweigen zu brechen. »Wieso wolltest du mich hier treffen? Mach dir keine Hoffnungen – ich tanze nicht.«
Er zuckte mit den Achseln. »Mir gefällt’s hier. Ich bin eigentlich immer hier. Es hat noch nie jemand nachgeschaut. Ich weiß auch nicht, warum.«
Er nahm seine Füße vom Tisch und sah sie an. »Ich möchte einfach nur wissen, wieso du und Blondie ausgerechnet in dem Augenblick am Pavillon aufgekreuzt seid, als das alles passiert ist. Als Gabe euch verlassen hat, habt ihr beide wohlbehalten im Aufenthaltsraum gesessen und euch über Schuhe oder Lippenstifte unterhalten … oder worüber Mädchen halt so reden. Und keine Viertelstunde später seid ihr am Gartenpavillon und legt bei strömendem Regen Verbände an. Wieso, Allie?«
Sie wich seinem Blick aus. »Jo wollte nach Gabe …«
Carter schnitt ihr das Wort ab. »Ach, hör doch auf, Allie. Ich bin nicht Isabelle.«
Von seiner Heftigkeit überrascht, suchte Allie nach Worten. »Ich … äh … Na ja …«
Carter saß ruhig da und sah sie prüfend an.
Derselbe Instinkt, der ihr geraten hatte, Isabelle nichts zu sagen, riet ihr auch, Carter nichts zu sagen. Doch sie musste einfach herausfinden, was hier gespielt wurde. Und wenn es einer wusste, dann war es Carter.
»Ruth hat uns Bescheid gesagt.«
Carters Augen waren unergründlich im Dämmerlicht der Kerze. Allie starrte lange und schweigend in sie hinein, auf eine Reaktion wartend, doch es kam keine.
Als Carter endlich
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