Night School 02 - Der den Zweifel saet
abgeschnitten. Ihr Leben lang hatte sie gedacht, ihre Großeltern seien tot.
Dabei lebt meine Großmutter noch.
Sie lehnte sich zurück und starrte ihre Mutter an, als hätte sie sie noch nie gesehen. »Aber warum? Warum in aller Welt hast du mich angelogen? Ich hätte sie doch kennenlernen können …« Allie sprach nicht zu Ende.
»Ich weiß, dass du mir nicht glauben wirst«, sagte ihre Mutter sanft, »aber ich habe das alles nur getan, um dich zu schützen. Damit dir nichts passiert.«
»Aber du hast mich in dem Glauben gelassen, sie sei tot. Mein ganzes Leben lang.« Zutiefst gekränkt und ungläubig starrte Allie sie an. »Wie konntest du das tun?«
Ihre Mutter holte tief Luft. »Es ist … Es
war
furchtbar, das zu tun. Und es tut mir auch sehr leid. Aber ich wusste einfach nicht, was ich sonst hätte machen sollen. Vielleicht hätte ich dir einfach die Wahrheit erzählen sollen. Aber ich hatte Angst, dass du dann darauf bestehen würdest, sie kennenzulernen. Und das hätte alles kaputt gemacht.«
Allie war perplex. »Wieso hätte der Umstand, dass ich weiß, wer meine Großmutter ist, alles kaputt gemacht?«
»Weil sie dich dann gehabt hätte«, sagte ihre Mutter, ohne zu zögern. »Und ich hätte dich verloren.«
»Was?« Sarkasmus lag in ihrer Stimme. »Hätte sie mich entführt, oder was?«
Doch ihre Mutter ließ sich nicht beirren. »Du verstehst das nicht, Alyson. Du bist ihr nie begegnet. Lucinda ist eine mächtige und gefährliche Person. Sie kriegt immer, was sie will – so ist sie einfach. Nichts und niemand hält sie auf. Ich …« Sie hielt inne und dachte kurz nach. Dann fuhr sie mit leiser Stimme fort. »Als ich so alt war wie du, war ich ganz anders als sie. Sie ist sehr auf Kontrolle aus und hat mein Leben bis ins kleinste Detail reglementiert. Was ich anzog, wen ich kennenlernte, wo ich hinging, was ich lernte – all das hat sie entschieden. Zuerst hab ich das noch akzeptiert, aber je älter ich wurde, desto mehr hab ich dagegen rebelliert. Ich wollte nicht so sein wie sie. Ich wollte nicht reich und unglücklich sein. Ich wollte nicht ihr Leben haben. Ich wollte ich selbst sein. Meine eigenen Entscheidungen treffen.« Sie sah Allie prüfend an. »Ich denke, wenn das jemand verstehen können sollte, dann du.«
Und das tat Allie auch. Dennoch ergab das alles keinen Sinn. »Na gut. Wenn sie so drauf war, dann war es vielleicht richtig, vor ihr wegzulaufen. Aber mich anzulügen, war bestimmt nicht richtig. Ich muss meine eigenen Entscheidungen treffen. Genau wie du.«
Ein bitteres Lächeln kräuselte die Lippen ihrer Mutter. »Genau dasselbe hat Isabelle auch gesagt.«
Was Allie daran erinnerte, dass sie noch andere Fragen hatte. »Du bist doch mit Isabelle befreundet, oder? Ihr seid zusammen in Cimmeria zur Schule gegangen, oder? Das hast du mir auch alles nicht erzählt.«
Die Wangen ihrer Mutter röteten sich, doch sie hielt Allies Blick stand. »Ich hab dich im Glauben gelassen, dass ich weder Isabelle noch Cimmeria kenne. Und ich hatte meine Gründe dafür.« Sie schwieg, dann fügte sie hinzu: »Außerdem war ich sauer auf dich.«
Obwohl es ihr wehtat zu wissen, dass ihre Mutter ihr gegenüber Rachegefühle hegte, ließ Allie sich nichts anmerken. Sie musste noch mehr wissen. »Wer ist diese Lucinda?«, fragte sie. »Irgendwie hält jeder sie für ein total hohes Tier. Also wer ist sie? Die Queen? Gott?«
Das ironische Lächeln, das sie zur Antwort erhielt, gefiel ihr nicht.
»Nicht ganz«, sagte sie. »Aber fast.«
»Was soll das heißen?«
Ihre Mutter antwortete mit Bedacht. »Ihr Nachname lautet Meldrum.«
Diesmal konnte Allie nicht mehr so tun, als wäre sie nicht geschockt. »Nie. Im. Leben.«
»Lucinda Meldrum ist meine Großmutter«, sagte Allie also, und Isabelle machte eine leichte Kopfbewegung, wie um diese Information zu bestätigen.
Die Worte kamen ihr immer noch schwer über die Lippen. Wie konnte das sein? Lucinda Meldrum war die berühmteste britische Politikerin. Die erste Frau, die Finanzministerin geworden war und die nun an der Spitze der Weltbank stand. Sie beriet Präsidenten, Regierungschefs und Könige. Selbst Rachel war beeindruckt gewesen, als Allie es ihr erzählt hatte.
»Danke, dass du meiner Mutter gesagt hast, dass sie’s mir sagen soll. Ich weiß nicht, ob sie es sonst erzählt hätte, und für mich war es sehr wichtig, die Wahrheit zu kennen.«
»Es war an der Zeit, dass du’s erfährst«, erwiderte die Rektorin. »Höchste
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