Night School 02 - Der den Zweifel saet
ihr alle Einzelstunden in Lügendetektion bekommen. Am Ende der Woche erwarten wir von euch, dass ihr in der Lage seid, sämtliche Anzeichen von Unaufrichtigkeit – sprachliche Ticks, Marotten und andere verräterische Kennzeichen – zu identifizieren. Anhand dieser Fähigkeiten werdet ihr in der Lage sein, die Wahrheit zu ermitteln.«
Er lehnte sich zurück, und Eloise übernahm. »In der Regel wird die Person, die euch für die Befragung zugeteilt wird, jemand sein, den ihr bereits kennt – sogar gut kennt.« Ein bestürztes Murmeln ging durch den Saal. »Dadurch werdet ihr lernen, eure Gefühle von eurer Arbeit zu trennen. Ihr solltet freilich wissen, dass euer Interviewpartner den Bericht, den ihr für uns schreibt, nie zu sehen bekommen wird. Dieser wird vollkommen vertraulich behandelt und sollte daher nichts als die ungeschminkte Wahrheit enthalten.«
Sie klopfte mit einer Hand fest auf den Tisch, um die folgenden Worte zu unterstreichen: »Wenn ihr euren Befrager anlügt, ist das ein Grund für den Ausschluss aus der Night School und der Cimmeria Academy.«
Als Zelazny übernahm, rutschte Allie auf ihrem Stuhl nach hinten, wie um möglichst viel Abstand zwischen sich und all diese Leute zu bringen.
»Die Zuteilung ist geheim«, begann Zelazny. »Nur Sie und Ihr Interviewpartner dürfen von der Befragung wissen. Also behalten Sie den Namen für sich.« Er ließ seine eiskalten Augen über die Schülerschaft schweifen. »Wer dabei erwischt wird, wie er diese Information weitergibt, wird bestraft.« Er griff in seine Aktentasche, die neben ihm auf dem Boden stand, und holte einen Stapel dünner, schwarzer Mappen hervor. »Wenn Ihr Name aufgerufen wird, treten Sie bitte vor und holen Ihren Arbeitsauftrag ab. Anderson …«
Ein hochgewachsenes, schlankes Mädchen lief nach vorne, um sich ihre Mappe abzuholen. Allie und Carter tauschten kurz verzweifelte Blicke.
Der Stapel vor Zelazny wurde immer kleiner, und Allie sah zu, wie erst Lucas und dann Jules ihre Mappen abholten.
Als Zelazny »Glass!« rief, marschierte Zoe an ihnen vorbei. Sie schäumte sichtbar. Sie riss Zelazny die Mappe aus der Hand und grummelte: »Das geht ja wohl alles
gar
nicht«, als sie auf dem Weg zu ihrem Platz an Allie vorbeikam.
Schließlich bellte Zelazny: »Sheridan!«
Allie holte einmal tief Luft und lief nach vorne. Sie bemühte sich um einen neutralen Gesichtsausdruck, aber ihre Hände waren neben dem Körper zu Fäusten geballt. Sie zwang sich, Zelazny in die Augen zu schauen, als sie die Mappe entgegennahm. Der gesamte Vorgang, von ihrem Platz zum Tisch und wieder zurück zu laufen, konnte höchstens eine halbe Minute gedauert haben, doch ihr kam er endlos vor.
Carters Name war der letzte, der aufgerufen wurde. Er warf Allie einen hilflosen Blick zu und maschierte los.
»Jetzt, wo alle ihre Arbeitsaufträge haben«, ertönte Isabelles kühle, klare Stimme, nachdem Carter an seinen Platz zurückgekehrt war, »möchte ich noch einmal betonen, dass die ganze Angelegenheit absolute Diskretion erfordert.«
Jerry hatte während Eloises Rede seine Nickelbrille abgenommen und putzte sie mit einem Tuch. Er übernahm den letzten Teil der Ansprache. »Verbringt ausreichend Zeit mit eurem Interviewpartner. Lernt, die richtigen Fragen zu stellen. Und die Wahrheit von der Lüge zu unterscheiden. Das ist wichtig.« Er setzte die Brille wieder auf die Nase und musterte die Schüler feierlich. »Irgendwer in diesem Raum arbeitet für Nathaniel. Und lügt uns alle an. Ihr habt die Chance, diese Person zu finden. Morgen geht’s los. Diese Woche fällt das Night-School-Training aus – wir möchten, dass ihr euch ausschließlich auf dieses Projekt konzentriert.«
Die Schüler schoben sich aus dem Saal. Allie und Carter schlossen zu Lucas und Jules auf.
»Ist doch nicht zu glauben, oder?« Lucas wirkte empört.
Jules schüttelte den Kopf und schaute Carter an. »Das gefällt mir alles gar nicht.«
Ihre besorgte Miene machte Allie nervös.
Die regt sich doch sonst nie über was auf.
»Das wird
böse
enden. Bestimmt werden irgendjemandes Gefühle verletzt«, witzelte Lucas düster im Versuch, die Stimmung aufzulockern. »Und ich könnt wetten, es sind meine.«
Aber niemand lachte.
Später, in ihrem Zimmer, setzte Allie sich auf ihr Bett. Die schwarze Mappe lag verschlossen vor ihr – ein rechteckiges, schwarzes Loch im Milchweiß der Bettdecke.
Niemand hatte Lust gehabt, noch etwas zu unternehmen. In einem unausgesprochenen
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