Night School 02 - Der den Zweifel saet
dass du aus dem Geschehenen gelernt hast und dass du in Zukunft gleich zu uns kommen wirst, sollte irgendeiner von Nathaniels Leuten sich noch einmal an dich wenden. Und dass du uns vertraust.«
Die ganze nächste Woche ging Carter ihr aus dem Weg. Allie hätte gern mit ihm geredet, ihm alles erklärt und sich entschuldigt, um die Sache wieder einzurenken. Doch sie wusste, dass es nichts einzurenken gab. Diesmal nicht. Also ließ sie ihn widerstrebend in Ruhe.
Er hinterließ eine Leere in ihrem Leben. Beim Abendessen vermisste sie die Wärme seines Arms, den er stets über ihre Stuhllehne gelegt hatte. Wenn sie im Aufenthaltsraum oder in der Bibliothek saß, suchten ihre Augen automatisch den Raum nach ihm ab.
Um die Berichte über die Befragungen fertigzustellen, hatte die Night School ihnen eine Woche trainingsfrei gegeben, sodass Allie wenigstens nicht in einem Saal mit ihm Übungen machen und mit ansehen musste, wie er mit Jules und Lucas lachte und so tat, als ob nichts wäre.
Doch der Preis dafür war, dass sie Carters Lebensgeschichte niederschreiben musste – nun, da er nicht mehr Teil ihres Lebens war, eine subtile Folter. Als sie fertig war, hatte sie das vollständige Bild eines Teenagers entworfen, der ganz allein auf der Welt war und sich durchzuschlagen versuchte.
Es brach ihr das Herz.
»Ich halte Carter West für den vertrauenswürdigsten Menschen, dem ich je begegnet bin. Jedes Wort, das er zu mir gesagt hat, war wahr.«
So lauteten die Schlusssätze ihres Berichts, die sie am frühen Sonntagmorgen niederschrieb, während ihr die Tränen übers Gesicht rannen. Danach ließ sie den Stift fallen und schlang die Arme um die Knie, und so saß sie da auf ihrem Bett und wiegte sich sachte hin und her.
Plötzlich hörte sie, wie Rachel im Nachbarzimmer irgendetwas umstieß, und da machte es
klick
. Sie vermisste ihre Freundin wahnsinnig, sie brauchte einfach ihren Rat. Alle Bedenken beiseitewischend, riss sie die Tür auf und rannte hinaus in den Flur. An Rachels Tür legte sie ihre heiße Wange ans kühle Holz, schloss die Augen und klopfte zweimal.
Sie hörte Papiergeraschel, dann sagte Rachel mit Kommandostimme: »Herein.«
»Ich weiß nicht mehr weiter, Rach …« Allie unterbrach sich. Ein Papiertaschentuch wedelnd, taumelte sie in das Zimmer – sie musste total durchgeknallt wirken. Rachel jedoch räumte nur den Platz neben sich auf dem Bett frei und bedeutete Allie, indem sie die Decke tätschelte, sie möge sich setzen.
»Schieß los.«
»Manches darf ich aber nicht … sagen«, schluchzte Allie. Das feuchte Taschentuch in ihrer Hand hatte sie zusammengeknäult.
»Dann erzähl mir alles Übrige.« Während sie ihr ein sauberes Taschentuch reichte, suchten Rachels mandelförmige Augen Allies Gesicht nach Hinweisen ab.
»Carter und ich …«
»Ihr habt euch getrennt.«
Allie erstarrte.
»Ist schon Schulgespräch«, erklärte Rachel. »Ich wollte dich auch schon fragen, aber …« Sie hob die Hände.
Wir unterhalten uns ja gar nicht mehr richtig
, sollte die Geste vermutlich sagen. Das löste bei Allie einen neuen Tränenschwall aus, und eine Zeit lang klopfte Rachel ihr nur auf den Rücken, so lange, bis Allie sich ein wenig beruhigt hatte.
»Er ist wahnsinnig wütend«, sagte sie schließlich. »Und ich hab Sachen gemacht, die kann er mir einfach nicht verzeihen.«
»Geht es um Sylvain?«
Es war nicht zu überhören, dass Rachel sich Mühe gab, das nicht allzu sehr wie einen Vorwurf klingen zu lassen, doch sie konnte ihn immer noch heraushören.
»Die anderen sagen, du und Sylvain, ihr beide wärt draußen im Wald gewesen, als er verprügelt wurde … Also zusammen, meine ich. Sie meinen, du hättest was mit Sylvain, und zwar hinter Carters Rücken.«
Als Allie sich ausmalte, wie Carter dieses Gerücht zu Ohren kam, war ihr, als würde man ihr ein unsichtbares Messer in den Bauch rammen. Der Vorfall hatte sich herumgesprochen, das war ihr nicht entgangen. Sylvains lila zerschrammtes Gesicht allein genügte, um für Gerede zu sorgen. Aber dass es so aus dem Ruder gelaufen war, das hatte sie nicht geahnt.
Armer Carter. Arme Allie.
»Wir haben nichts dergleichen getan«, sagte sie fast atemlos, so sehr hoffte sie, dass Rachel ihr glaubte. »Sylvain und ich sind nicht … Wir waren nicht … Er hat mir nur … bei etwas Bestimmtem … geholfen.« Ihre Unfähigkeit, zu erklären, was sie und Sylvain denn nun getan hatten, ließ das Ganze auch in ihren eigenen Ohren wie eine
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