Night School 02 - Der den Zweifel saet
Lüge klingen. Im Grunde hätte sie die ganze Geschichte von Anfang an erzählen müssen.
Darf ich ihr von Christopher erzählen? Hat ja nichts mit der Night School zu tun, wäre also kein Regelverstoß. Oder?
Kaum hatte sie sich entschlossen, spürte sie eine solche Erleichterung, dass sie sich verhaspelte, während sie in Schnellfeuersätzen erzählte, was passiert war. Christophers Nachricht. Carters obsessives Bedürfnis, sie zu beschützen. Ihr Entschluss, sich an Sylvain zu wenden.
»Oh, Allie …«, flüsterte Rachel, nachdem sie alles erfahren hatte.
»Ich weiß.« Allie zerrte an dem Taschentuch in ihren Händen. »Vielleicht war es ein Fehler. Vielleicht auch nicht. Aber Sylvain wäre meinetwegen fast gestorben. Und dann hat mir Carter auch noch den Laufpass gegeben.«
Als sie es laut aussprach, hätte sie am liebsten wieder geheult, doch irgendwie schien sie den Tränenvorrat für diesen Tag aufgebraucht zu haben, und ihre Augen blieben trocken.
Einen Augenblick lang, der sich endlos zu dehnen schien, betrachtete Rachel sie. Nach den Vorfällen auf dem Sommerball war Sylvain bei Rachel untendurch, das wusste Allie. Sie traute ihm nicht über den Weg.
Aber sie kennt ihn nicht wirklich.
»Was läuft wirklich zwischen dir und Sylvain, Allie?«, fragte Rachel schließlich. »Stehst du auf ihn? Ich meine, niemand könnte dir einen Vorwurf machen. Was zwischen euch passiert ist, wie er dich aus dem Feuer gerettet hat, und jetzt« – sie fuchtelte mit der Hand – »noch das alles. Das muss ja eine Bindung zwischen euch geschaffen haben. Ein Band oder so. Dem kann man halt manchmal einfach nicht widerstehen. Weil man es mit Liebe verwechselt.«
»Nein«, sagte Allie sofort, obwohl ihr Herz schneller schlug und sie sich keineswegs sicher war, ob das wirklich stimmte. »Nein, ich steh nicht auf ihn.« Und nach einer Pause: »Mein Gott, ich weiß es doch auch nicht.« Sie zog ihre nackten Füße aufs Bett, schlang die Arme um die Knie und sagte: »Ich fühle mich zu ihm hingezogen. Aber das ist nicht der Grund, warum es zwischen Carter und mir den Bach runtergegangen ist. Ich glaube …« Sie unterbrach sich und versuchte zu verstehen, was sie wirklich empfand. »Ich vermisse Carter unheimlich, Rach, aber … zugleich … habe ich das Gefühl, als könnte ich endlich frei atmen. Wenn er da ist, kann ich nicht … atmen.«
»Warum? Weil er so überfürsorglich ist? Weil er dich erdrückt?«
Allie nickte kläglich. »Ich liebe ihn, wirklich. Aber er bevormundet mich. Ständig widerspricht er mir. Ich hab den Eindruck, er glaubt nicht an mich, und das lässt mich an mir selbst zweifeln. Und ich weiß jetzt auch, warum er das tut – ich habe viel darüber nachgedacht. Er hat niemanden. Keine Eltern, keine Geschwister, noch nicht mal Tanten oder Großeltern. Er ist ganz auf sich gestellt, und ich bin alles, was er hat. Deshalb klammert er sich an mich. Er will mich beschützen. Aber wenn er das tut, krieg ich keine Luft.«
»Auweia. So schlimm?«
»Ich weiß nicht. Ja … und nein.« Allie zuckte die Schultern. »Es hört sich schlimmer an, als es ist. Es gab ja auch Gutes. Aber sosehr ich Carter auch vermisse – und das tue ich wirklich –, ich fühle mich frei ohne ihn.«
Rachel atmete langsam aus. »Dann müsst ihr getrennt bleiben, Allie. Wenn du das empfindest, dann musst du diesen Schritt tun, egal, wie schwer er dir fällt.«
»Aber ich weiß nicht, wie.« So plötzlich, wie sie versiegt waren, schossen die Tränen jetzt hervor. »Ich muss die ganze Zeit an ihn denken. Den ganzen Tag denke ich: Hier habe ich mit Carter gestanden, hier habe ich mit Carter gelacht. Total bescheuert.« Ärgerlich wischte sie die Tränen fort. »Aber ich kann nicht damit aufhören. Als wär mein Hirn von ihm besessen.«
»Das ist der Grund, weshalb Trennungen so ätzend sind, Allie«, sagte Rachel mitfühlend. »Deshalb will man das nicht. So was braucht Zeit. Und ich finde, du solltest dich ablenken. Statt den ganzen Tag zu lernen, tu was, was du mit Carter nie gemacht hast. Häng mit Jo ab, auch wenn sie so durchgeknallt ist wie ein ganzer Hühnerhaufen. Oder mit mir oder mit Zoe. Geh Carter aus dem Weg … und Sylvain auch«, fügte sie hastig hinzu. »Das Dümmste, was du jetzt machen kannst, ist, dich gleich in die nächste Geschichte stürzen. Du musst jetzt erst mal rausfinden, wer du bist, damit du weißt, was du willst. Vielleicht willst du Sylvain ja, ich weiß es nicht. Aber vielleicht ist dein Herz auch
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