Night School 03 - Denn Wahrheit musst du suchen
Rachel. Sylvain sah sie intensiv an. »Rachel?«
Schließlich nickte sie widerstrebend.
»Dass wir bei Zelazny eingebrochen sind, müssen wir aber schon zugeben«, sagte Allie. »Sonst können wir nicht erklären, wo wir den Schlüssel herhaben.«
»Und was wir von Nathaniel wissen«, sagte Nicole. »Aber ohne Katie zu erwähnen.«
»In Ordnung«, sagte Carter. Er wandte sich an Allie. »Hat Katie sonst noch was gesagt?«
»Eigentlich nicht«, erwiderte sie zögernd. »Außer, dass sie … also, irgendwie … bei uns … mitmachen möchte.«
»Was?«, erscholl es wie aus einem Mund. Das Wort hallte im leeren Ballsaal wider wie ein Querschläger:
Was? Was??
WAS ??
Allie fand sich in der sonderbaren Rolle wieder, Partei für Katie ergreifen zu müssen.
»Sie meint, dass sie uns vielleicht helfen kann. Die hat voll Schiss. Trotz aller Bedenken glaube ich …« Sie seufzte und musste sich zwingen, den Satz zu Ende zu bringen. »Also, ich glaube schon, dass sie uns ganz nützlich sein könnte. Auch wenn sie eine fiese Kuh ist. Braucht man ja nicht dazusagen.«
»Oh Gott – Katie Gilmore!« Rachel klang entsetzt. »Muss das sein?«
»Ihre Eltern sind ein fester Teil dieser Schule, und sie hat Beziehungen zum Aufsichtsrat und zu den Schülern, deren Eltern auf Nathaniels Seite sind«, sagte Sylvain nachdenklich. »Die denken ja bestimmt, sie wäre auf ihrer Seite, also werden sie ihr auch das eine oder andere erzählen. Allie hat schon recht: Sie könnte uns ziemlich nützlich sein.«
Allie warf ihm einen dankbaren Blick zu, den er erwiderte. Seine Augen leuchteten so kobaltblau, dass sie kaum den Blick abwenden konnte.
Unterdessen zogen die anderen weiter über Katie her.
»Ich kann die nicht ausstehen«, sagte Nicole und verzog angewidert die Nase.
»Die beleidigt immer alle«, sagte Rachel.
»Die spinnt total«, brummte Zoe.
»Trotzdem finde ich, wir sollten sie bei uns mitmachen lassen«, sagte Carter und warf einen Blick in die Runde. »Oder?«
Einer nach dem anderen nickte, wenn auch mit erkennbarem Widerwillen. Es führte einfach kein Weg daran vorbei.
»Super«, sagte Allie, obwohl sie es gar nicht so super fand. »Ich richt’s ihr aus.«
»Ich finde nicht, dass sie bei allen unseren Treffen dabei sein muss«, sagte Sylvain. »Vermutlich können wir ihr vertrauen, aber sicher ist das nicht. Zu dem Gespräch mit Isabelle kann sie jedenfalls nicht mitkommen, und …«, sein Blick streifte Allie, »… bei so Sachen wie gestern sollte sie auch nicht dabei sein.«
»Da hast du recht«, sagte Carter. »Katie hat gute Verbindungen, aber sie gehört nicht zur Night School, und sie ist nicht Rachel, also holen wir sie nur gelegentlich mit dazu.«
»Gott steh uns bei«, sagte Rachel.
Nach dem Abendessen versammelten sie sich in einer Ecke des proppenvollen Aufenthaltsraums und taten so, als würden sie lernen und sich unterhalten – dabei warteten sie auf Raj Patel.
Rachel war felsenfest davon überzeugt, dass er bald auftauchen würde, doch je mehr Zeit verstrich, desto unruhiger wurde sie. Jedes Mal, wenn jemand zur Tür hereinkam, sah sie von ihren Chemiehausaufgaben auf.
Als es um zehn Uhr immer noch kein Lebenszeichen von ihm gab, sagte sie: »Der Super- GAU wäre natürlich, wenn er einfach bei mir im Zimmer aufkreuzt und ich ihm alles allein erzählen muss.«
»In dem Fall klopfst du einfach an die Wand«, schlug Allie vor. »Dann komm ich rüber und steh dir bei. Damit du nicht alles ausplauderst.«
»Bestimmt kommt er gleich«, meinte Rachel und sah sich hoffnungsvoll um. Doch in dem geräumigen Saal mit seinen Ledersofas und Schachtischen und Regalen voller Brettspiele und Bücher hielten sich nur plappernde Schüler auf. Irgendjemand spielte
»Au clair de la lune«
auf dem Klavier in der Ecke, während ein paar umstehende Schüler ihn drängten, doch etwas Fetzigeres zu spielen.
Allie blätterte eine Seite in ihrem Geschichtsbuch um, ohne den Inhalt aufzunehmen. Angesichts der Musik und des ganzen Treibens drum herum fiel es ihr schwer, bei der Sache zu bleiben. Mit ihrem Arbeitspensum war sie mittlerweile völlig ins Hintertreffen geraten. Bei all dem, was ständig los war, schaffte sie es einfach nicht, sich darauf zu konzentrieren. Der Unterricht war nur eine lästige Unterbrechung ihres ansonsten spannenden Tagesablaufs. Doch sie hatte Lucinda gute Noten versprochen.
Unter ihren gesenkten Lidern hindurch lugte sie nach Sylvain, der, das Kinn in die Hand gestützt, ihr gegenüber
Weitere Kostenlose Bücher