Night School. Der den Zweifel sät (German Edition)
Schneeballschlacht, woraufhin Zoe alles noch mal erzählte. Er hörte ihr interessiert zu, als wäre es das Faszinierendste, was er je gehört hatte. Allies Magen zog sich zusammen. Sylvain hatte sie noch nicht ein Mal angeschaut.
Dass womöglich auch er das Ganze als schlechten Einfall ansah, dieser Gedanke war ihr noch gar nicht gekommen. Vermutlich wünschte er sich, dass es nie passiert wäre.
Und wenn es ihm leidtut? Wenn das nur ein schlechter Spaß war?
Just als ihre Paranoia und Verwirrung den Höhepunkt erreicht hatten, griff er unter der Tischdecke nach ihrer Hand und verflocht, ohne den Kopf in ihre Richtung zu drehen, seine Finger mit ihren, bis ihrer beider Hände ganz verschränkt waren. Niemand bekam etwas mit.
Sie hatte Schmetterlinge im Bauch. Das war nicht richtig. Sie durften das nicht tun, das musste sie ihm schleunigst klarmachen. Doch dann fiel ihr ein, wie es sich angefühlt hatte, ihn zu küssen. Und dass sie zum ersten Mal seit einer Ewigkeit nicht mehr einsam gewesen war.
Und unter dem Tisch drückte sie seine Hand.
Während die anderen sie darüber aufklärten, was sie alles an diesem Tag schon verpasst hatte – den tollen Schneepiraten mitsamt Dreispitz und Schwert, das Chaos im Zuge des allgemeinen Massenaufbruchs –, lugte Allie heimlich zu Sylvain herüber. Einmal bekam er es mit, und sein promptes Lächeln verriet ihr, dass er dasselbe dachte.
Als sie mit Essen fertig waren, fiel ihr ein, dass sie ja noch Rachel etwas fragen wollte. »Hey, ist dein Dad schon wieder da?«
Der G 8 -Gipfel war vorbei. Eigentlich hätte ihr Vater schon wieder da sein müssen, doch Rachel schüttelte den Kopf. »Wegen des Schnees sind viele Straßen nicht passierbar. Er hatte Schwierigkeiten, von London herzukommen. Vermutlich kommt er heute spätabends.«
Die fortgeschrittenen Night-Schooler mussten den ganzen Tag von einem Meeting ins andere, weshalb sich Allie nie die Gelegenheit bot, mit Sylvain zu sprechen. Dafür verbrachte sie den Großteil des Tages mit Rachel und Jo, las und döste.
Um neun Uhr abends war sie putzmunter. Das Adrenalin aus all den widerstreitenden Gefühlen der vergangenen vierundzwanzig Stunden war noch nicht abgebaut. Deshalb freute sie sich geradezu auf die vor ihr liegende Aufgabe, während sie die Patrouillenklamotten anzog. Alle Night-Schooler, die noch nicht in die Ferien gefahren waren, waren in Schichten eingeteilt worden. Sie und Zoe hatten die erste.
Es war noch kälter als am Abend zuvor, deshalb hatte man Schneestiefel ausgeteilt, die fast bis zu den Knien reichten, sowie dickere Leggings, eine sperrige Jacke und Thermohandschuhe.
Zoe, die schon gestiefelt und gespornt dastand, einschließlich einer schwarzen Skimütze, machte in einer Ecke Schattenboxen.
»Ich fühl mich wie ein Eskimo-Ninja«, verkündete sie.
»Genauso siehst du auch aus.« Allie stand auf. »Und ich bin ein Marshmallowianer. Meine Güte, ich bin so eingepackt, dass ich mich kaum rühren kann!«
»Du musst dich ein bisschen bewegen, damit sich die Schichten lockern.« Zoe versuchte einen hohen Tritt, bekam aber ihr Bein nicht hoch. »Keine leichte Sache. Hoffentlich will heute Abend keiner rein. Wie sollen wir ihnen bloß in all dem Plunder hinterherrennen und sie zu Fall bringen?«
»Bei dem Wetter kommt eh niemand in die Nähe der Schule«, sagte Allie, während sie auf den Flur hinaustraten, »und einbrechen tut schon gar keiner.«
Oben an der Tür stand Sylvain und blickte ganz gleichgültig drein, doch Allie wusste, dass er auf sie wartete. Als sich ihre Blicke trafen, schmolz sie innerlich dahin.
»Ich komm gleich nach, Zoe«, sagte sie, ohne die Augen abzuwenden.
Zoe war zu sehr mit ihren Klamotten beschäftigt, um etwas mitzubekommen. »Cool.« Während sie nach draußen rannte, trat sie nach unsichtbaren Gegnern.
Amüsiert musterte Sylvain Allies Kleidung. »Na, wenigstens muss ich mir keine Sorgen machen, dass du dich totfrierst.«
»Mach dich nur lustig. Das ganze Zeug musst du später ja auch anziehen«, erwiderte Allie lächelnd. »Eigentlich ist alles prima, solange wir uns nicht groß bewegen müssen.«
Er zog sie an sich. Stirn an Stirn standen sie da, und sie spürte seinen warmen Atem auf dem Gesicht. Er roch nach Kaffee und Sandelholz.
»Pass auf dich auf, ja?«, flüsterte er.
Bei seiner Berührung erbebte sie. »Hochheiliges Ehrenwort.«
Das ist einfach nicht richtig
, sagte sie sich.
Ich darf das nicht wollen.
Sie stellte sich auf die Zehenspitzen
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