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Steirerkind

Steirerkind

Titel: Steirerkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Rossbacher
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Kapitel 1
     
    Samstag, 2. Februar 2013
     
    Draußen tanzten dicke Flocken. Jene, die auf der Windschutzscheibe des silbergrauen VW Passat landeten, hatten keine Chance. Der Scheibenwischer, der auf vollen Touren lief, schob die Eiskristalle gnadenlos beiseite. Unaufhörlich fiel der Schnee vom Himmel. Immer dichter, immer schneller.
    Seit Abteilungsinspektorin Sandra Mohr vom Landeskriminalamt Steiermark gegen 15 Uhr auf die Seewigtal-Straße abgezweigt war, hatte sie alle Mühe, sich in dieser Schneelandschaft zwischen Schladminger Tauern und Dachsteinmassiv zu orientieren. Das endlose, diffuse Weiß – unter Alpinisten als Whiteout gefürchtet – verschluckte alle sichtbaren Konturen und Schatten, die das menschliche Auge benötigt, um Dimensionen und Begrenzungen zu erkennen. Zu allem Überfluss wurde die Fahrbahn immer glatter. Obwohl die LKA-Ermittlerin aus Graz der Sicht und Witterung angepasst entsprechend langsam fuhr, riskierte sie bei jeder Kurve, von der Landstraße in den Graben abzurutschen. Dabei hatte Sandra Mohr von Anfang an gelernt, mit winterlichen Fahrbedingungen zurechtzukommen. Ihre ersten Fahrstunden hatte sie damals, vor 15 Jahren, in den Semesterferien in ihrem Heimatbezirk Murau, am Südrand der Niederen Tauern, absolviert und als Polizistin immer wieder spezielle Fahrtrainings durchlaufen, die ihr Partner vermutlich allesamt versäumt hatte. Sascha Bergmann, der neben ihr am Beifahrersitz saß, war einer der miserabelsten Autofahrer, dem Sandra je begegnet war. Dennoch bremste er vor jeder Kurve mit.
    »Scheißwetter!«, schimpfte er und beugte sich nach vorne, als hätte er dadurch besser sehen können.
    »Es nützt nichts. Wir müssen die Schneeketten anlegen«, verkündete Sandra und ließ den Wagen vorsichtig auf der Geraden ausrollen, sodass er auf einem Güterweg, der nur noch anhand der Schneestangen und Hinweisschilder als solcher zu erkennen war, zu stehen kam. Jetzt würden sie es ganz bestimmt nur mehr mit Ketten oder Anschieben im Retourgang zurück auf die Landstraße schaffen.
    »Wieso wir ?«, fragte Bergmann.
    Sandra sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an. Sie hatte schon geahnt, dass er sich davor drücken würde, bei diesem Sauwetter auszusteigen. Nach knapp zweieinhalb Jahren der Zusammenarbeit mit dem Wiener Chefinspektor, der sich von der Bundeshauptstadt in die steirische Landeshauptstadt versetzen hatte lassen, kannte sie diesen besser, als ihr lieb war.
    »Na, du hilfst mir doch sicher beim Kettenanlegen«, sagte sie scharf, wenngleich sie seine Antwort bereits wusste. Fragte sich nur, welche Ausrede ihm diesmal einfallen würde.
    Bergmann kratzte sich an der Schläfe und zog ein Knie zur Brust heran, um Sandra den Sportschuh an seinem Fuß zu zeigen.
    »Tut mir echt leid, ich hab die falschen Schuhe an. Wenn ich hier aussteige, bin ich bis über beide Wadeln hinauf waschelnass. Außerdem habe ich sowieso keine Ahnung, wie man Ketten anlegt. Ehrlich nicht …« Bergmann klimperte mit den Augen. »Du schaffst das sicher auch ohne mich. Ich kümmere mich inzwischen um Jutta. Wahrscheinlich steckt sie, wie wir, irgendwo im Schnee fest«, fügte er scheinheilig hinzu.
    Sandra blies hörbar Luft aus und löste ihren Gurt. Wenig überraschend wollte Bergmann lieber die attraktive Gerichtsmedizinerin anrufen, bei der er seit geraumer Zeit zu landen versuchte. Oder auch gelandet war. Wer wusste das schon so genau, außer den beiden?
    »Du bist so was von einem verdammten …«
    Den Rest von Sandras Schimpftirade hätte Bergmann nur mehr durch die geschlossene Autotür hören können, wenn er es denn gewollt hätte. Stattdessen nahm er sein Mobiltelefon zur Hand, um Doktor Jutta Kehrer anzuwählen, die, wie die LKA-Ermittler, zum Einsatzort an den Steirischen Bodensee gerufen worden war.
    Sandra hatte gerade die Schneeketten aus dem Kofferraum geholt und ausgepackt, als sie gedämpfte Motorengeräusche und ein dumpfes Rumpeln vernahm. Sie schob die Kapuze ihres eisblauen Daunenanoraks, die ihr tief ins Gesicht gerutscht war, ein wenig nach hinten, um nach dem herannahenden Fahrzeug Ausschau zu halten. Die beiden rotierenden, gelben Rundumkennleuchten hellten auf der Stelle ihre Laune auf.
    »Halleluja!«, frohlockte sie laut und stapfte die wenigen Schritte zum Straßenrand, um dem Fahrer zuzuwinken. Etwas Besseres als ein Räumfahrzeug des Winterdienstes hätte sie sich in diesem Augenblick nicht wünschen können. Der Fahrer hielt neben ihr an und beugte sich aus dem

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