Nightschool. Du darfst keinem trauen
Dämmerung zurück zur Kapelle. Das goldene Licht von vorher war nun verschwunden, und als Allie durch das Törchen ging, stand die Kapellentür drohend wie ein Schlund vor ihr.
Sie holte tief Luft, lief zur Tür und zog kräftig daran, aber sie bewegte sich nicht. Erst da merkte Allie, dass die Tür von einem schwarzen Metallhaken gehalten wurde. Allie löste ihn, doch auch das half wenig. Erst als sie ihr ganzes Körpergewicht einsetzte, bewegte sich die Tür endlich. Kurz bevor sie sich mit einem widerwilligen Knarren schloss, sah Allie für den Bruchteil einer Sekunde eine Bewegung im Dunkel der Kapelle.
Allies Herz raste, sie starrte auf die geschlossene Tür.
Scheiße, was war das denn? Plötzlich hörte sie ein Flattern über sich. Sie zuckte zusammen, doch es waren nur Vögel, die von einem nahen Baum in den immer dunkler werdenden Himmel aufflogen.
Allies Hand lag noch immer auf dem schweren Eisenring, der als Türgriff diente. Sie überlegte fieberhaft. Da war definitiv jemand drin – sie hatte ja den Schatten gesehen.
Oder hatte die Dunkelheit ihr einen Streich gespielt?
Schnell weg hier, zurück in die Schule , dachte sie. Ich seh schon Gespenster .
Dann stellte sie sich vor, was Carter an ihrer Stelle getan hätte. Er hätte ohne Zögern die Tür geöffnet und gefragt, wer da sei.
»Aber der ist ja auch bekloppt«, murmelte sie ohne große Überzeugung, obwohl das auch schon keine Rolle mehr spielte: Sie wusste bereits, was sie tun würde.
Allie drehte an dem Ring.
Mühsam drückte sie die Tür ein Stück auf, beugte sich etwas vor, ohne über die Schwelle zu treten, und rief: »Hallo?«
Der Raum war inzwischen so dunkel, dass sie die Wandmalereien kaum noch erkannte. »Ist da wer?«
Aber sie hörte nur ihre Stimme, die von den Wänden zurückgeworfen wurde. Ansonsten nichts als die typische schwere Stille eines alten Gebäudes, und doch lief es ihr kalt den Rücken runter. Gerade als sie den Fuß ins Innere der Kapelle setzen wollte, hörte sie hinter sich schnelle Schritte: Irgendwer lief über den Friedhof.
Allie fuhr herum und ging in die Hocke, als erwartete sie im nächsten Moment einen Schlag … Aber da war niemand.
Und auch kein Geräusch, außer dem Wind, der durchs Laub fuhr.
Sie spähte in das Gebüsch, das rings um die Kapelle wuchs. Bei jedem Laut fuhr sie zusammen.
Wisst ihr was? Ihr könnt mich alle mal!
Sie nahm noch einmal ihre Kräfte zusammen und zog die Tür zu. Der Riegel war kaum ins Schloss gefallen, da lief sie schon zum Friedhofstörchen und knallte es achtlos hinter sich zu. Ohne nach rechts oder links zu schauen, rannte sie über den Pfad, und als sie sich warm gelaufen hatte, beschleunigte sie noch mehr. Sie flog nun regelrecht durch den Wald. Plötzlich stolperte sie in einer Kurve über einen Stein, rutschte aus und schlug so heftig auf dem Boden auf, dass sie sich die Seiten halten und nach Luft schnappen musste.
Als sie wieder zu Atem kam, zog sie erst einmal die kleinen Steinchen aus ihrer Handfläche, bevor sie sich traute, ihr Knie anzuschauen. Sie musste all ihren Mut zusammennehmen: Blut quoll aus einer tiefen Wunde und lief an ihrem Bein entlang. Hoffentlich ist es nicht so schlimm, wie es aussieht .
Sie rappelte sich auf und testete, ob das Bein ihr Gewicht aushielt. Es tat zwar weh, aber es ging. Sie sog Luft durch die Zähne ein und humpelte leise fluchend weiter.
Der Weg kam ihr jetzt endlos vor. Nach einer gefühlten Stunde gönnte sie ihrem Bein eine Pause. Es war doch gar nicht so weit bis zur Kapelle gewesen, oder? Bin ich vielleicht falsch abgebogen?
Ein Rascheln im Gebüsch unterbrach jäh ihren unruhigen Gedankengang. Sie hielt die Luft an und lauschte.
»Carter?«, fragte sie zögernd.
Gleich darauf hörte sie es wieder, doch jetzt schien es von der anderen Seite des Wegs zu kommen. Allie fuhr herum und kniff die Augen zusammen, um zu erkennen, was da zwischen den Bäumen war.
»Hallo?« Ihre Stimme zitterte leicht. Sie versuchte, ruhig zu klingen: »Wer ist da?«
Schweigen.
»Wenn das ein Scherz sein soll, dann ist er nicht komisch«, schrie sie in die Dunkelheit.
Sie wandte sich ab und hinkte so schnell es ging weiter.
… fünfundzwanzig Schritte, sechsundzwanzig, siebenundzwanzig …
In diesem Augenblick knackte es genau hinter ihr, als würde jemand auf einen Ast treten. Sie blieb wie angewurzelt stehen. Wieder dieses Rascheln. Aber näher. Viel näher.
Sie achtete nicht mehr auf die Schmerzen und rannte so schnell
Weitere Kostenlose Bücher