Nightschool. Du darfst keinem trauen
schwer, sich voneinander loszureißen, dann nahm Sylvain ihre Hand, küsste sie sanft und ließ sie los. »Geh mal lieber mittagessen, bevor die zumachen.«
Allie nickte. »Bis später.«
» À bientôt.«
Auf einer Wolke der Glückseligkeit schwebte Allie zum Speisesaal und hätte beinahe übersehen, dass Jo ihr von ihrem angestammten Platz aus zuwinkte. Als Allie zu ihr an den Tisch kam, knabberte sie gerade an einem Blattsalat.
»Bis zum Ball gibt’s nur noch Salat für mich, sonst pass ich nicht in das Kleid rein – was ist denn passiert?« Jo ging derart umstandslos von der Feststellung zur Frage über und Allie war derart trunken vor Romantik, dass sie Jo einen Augenblick lang bloß anstarrte.
»Du siehst aus, als wäre gerade was passiert. Erzähl – was ist passiert?«, verlangte Jo.
Allie lächelte verträumt. »Sylvain hat mich gefragt.«
Jo sprang auf und tanzte um den Tisch. Sie umarmte Allie und schrie: »Wusst ich’s doch! Hab ich’s nicht gesagt? Ich bin allwissend.«
»Du bist ein Genie.« Allie lachte. »Und ich bleib lieber auch beim Salat, wenn ich in das weiße Kleid passen will.«
Jo setzte sich wieder und reichte ihr die Salatschüssel. »Das wird der beste Sommerball aller Zeiten, sag ich dir!«
Während Allie ihren Teller füllte, sah sie, wie Carter sie von einem nahe gelegenen Tisch aus wütend anstarrte. Als er bemerkte, dass sie ihn gesehen hatte, stand er auf und stolzierte aus dem Saal.
Dreizehn
Die zwei Wochen bis zum Ball kamen Allie vor wie Monate, und sie hatte das Gefühl, als hätte die gesamte Schülerschaft vorübergehend jedwede Beteiligung am Unterricht eingestellt. Die Lehrer weigerten sich zwar, der Apathie und Zerstreutheit ihrer Schüler nachzugeben (wodurch sich der Stoff immer mehr aufstaute), aber die Bibliothek war abends zum ersten Mal weitgehend leer.
»Diese Woche bin ich ganz schön hintendran … Aber ich kann’s nicht ändern«, verkündete Jo. Ihre Aussage wurde unterstrichen durch den Umstand, dass sie auf ihrem Bett saß und mit einem Diadem herumwedelte. »Das hol ich nächste Woche nach.«
»Hört, hört!« Allie lag bäuchlings auf dem Fußboden, blätterte in einem Schönheitsmagazin und dachte über Frisuren nach. »Vielleicht sollte ich mir die Haare ganz kurz schneiden lassen?« Sie hielt die Abbildung eines elfenhaften Models in die Höhe.
Jo schwenkte das Diadem in ihre Richtung. »Eine neue Frisur hebt immer die Stimmung, junge Frau. Vergessen Sie das nie. Aber die hier passt nicht zu deiner Gesichtsform, nur so ’n Tipp.«
Allie blätterte um. »Weise Worte, Josephine. Weise Worte.«
Allie ging zurück in ihr Zimmer, wo ihr Blick auf das weiße Kleid fiel. Verheißungsvoll hing es an ihrer Schranktür, Jos Schuhe standen akkurat darunter. Jeden Morgen nach dem Aufwachen war es das Erste, was sie sah. Und jeden Abend riss sie vor ihrem geistigen Auge ein weiteres Blatt vom Kalender.
Obwohl Allie sich bemühte, mit den Hausaufgaben nachzukommen, war es ihr beinahe unmöglich, sich zu konzentrieren. Weshalb sie ein paar Tage vor dem Ball, als sie merkte, dass sie denselben Absatz in ihrem Geschichtsbuch nun schon zum fünften Mal gelesen hatte, das Unterfangen aufgab. Sie erhob sich von ihrem Schreibtischstuhl, streckte sich und schaute zum Fenster hinaus, wo die Sonne schien.
Ich muss mich bewegen.
Sie holte ihre Laufklamotten aus dem Schrank und band die Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen. Auf dem Weg nach unten begegnete sie nur einem einzigen anderen Schüler, und als sie sich auf dem Treppenabsatz übers Geländer beugte und ins Erdgeschoss hinunterschaute, war überhaupt niemand zu sehen. Draußen brannte unerbittlich die Sonne auf das weiche, grüne Gras herunter. Von der Eingangstreppe aus sah sie ein paar Gestalten auf ausgebreiteten Handtüchern und Decken schmoren. Sie hatte noch nie verstanden, was die Leute so toll daran fanden, einfach nur in der Sonne herumzuliegen. Und so joggte sie lieber im flotten Tempo Richtung Gartenpavillon. Bewegung hatte ihr schon immer geholfen, sich zu beruhigen. Deshalb gab sie richtig Gas und zählte dabei leise jeden Schritt.
»Zweihundertsechsundneunzig. Zweihundertsiebenundneun…«
»Wieso tust du das?«
Die Stimme schien aus dem Nichts zu kommen und erschreckte Allie so sehr, dass sie stolperte und beinahe hingefallen wäre, hätte sie sich nicht in letzter Sekunde an einem Ast festgehalten.
Am Wegrand stand Carter, die Hände in die Hüften gestützt. Keuchend beugte
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