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Nimm Platz und stirb

Nimm Platz und stirb

Titel: Nimm Platz und stirb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
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ungehörig von Ihnen, Herr
Jüstel! Wohl!«
    »Ich gehe jetzt fort von hier«, sagte
der Jühl leise. »Ihr kommt mir nicht nach, ja? Das wäre verkehrt.«
    Er war mit einem Schritt am
Schreibtisch. Mit der Linken griff er nach dem Telefonkabel an der Wand und riß
es heraus.
    »Wird ewig dauern, bis das einer von
der Post repariert«, sagte er.
    »Ich telefoniere auch nicht gern. Wir
kommen dir auch nicht nach, Jühl. Den Rest mußt du selber erledigen.«
    Er nickte. Er ging zur Tür. Er sah
hinaus auf den Flur. Dann drehte er den Kopf noch einmal zurück — für einen
Augenblick sah er wieder so fröhlich aus wie früher.
    »Denkst du noch an die Kantine?«
    »Ich werde noch oft daran denken.«
    Er nickte, fast zufrieden wie jemand,
der eine gute Nachricht bekommen hat. Wir hörten seine leisen, schlendernden
Schritte auf dem Gang. Die Korridortür schlug zu. Es war still im Haus. Ich
vernahm das Summen des Aufzugsmotors und merkte im gleichen Moment, daß der
Schweiß mir das Hemd an die Haut geklebt hatte. Wir rührten uns nicht. Der
Aufzug stoppte, dann setzte der Motor wieder ein, der Jühl fuhr nach unten.
    Ich sah Elsie an. Sie war bleich und
hatte Tränen in den Augen. Ich zog sie an mich und streichelte sie. Es war mir,
als hätte ich alles geträumt und müßte nun aufwachen, mich waschen und ins
Studio gehen zu Kirschbaum und den anderen. Vielleicht kam der Jühl zurück und
weckte mich und trank einen mit mir.
    Er kam nicht. Aber etwas anderes
geschah.
    Von der Straße her, durch die offene
Balkontür, klang das Heulen einer Polizeisirene, wie vor Lobkowicz’ Haus. Ich
wartete, daß sie vorüberheulen und verklingen würde. Meine Knie zitterten, und
mein Herz pochte gegen die Rippen. Die Pillen halfen nicht mehr.
    Dann war die Sirene unter unserem
Fenster. Ein langes, häßliches Kreischen von Bremsen klang herauf.
    Elsie fuhr herum. »Hast du...«
    Unten fielen zwei Schüsse, kurz
hintereinander. Irgend jemand fluchte. Dann knallte es fünfmal, in einem harten
Stakkato, heller als vorher. Die Sirene gellte weiter.
    Ich ließ Elsie los. »Bleib hier!«
schrie ich.
    Das Treppenhaus war leer. Der Aufzug
war nicht da, und ich wartete nicht auf ihn. Zweimal stolperte ich und fing
meinen Schwung mit beiden Armen am Geländer. Der Weg bis zur Haustür nahm kein
Ende.
    Der Polizeiwagen stand schräg an der
gegenüberliegenden Ecke der Querstraße vor meinem Haus, mit dem linken
Vorderreifen auf dem Bürgersteig. Die linke Tür war offen. Der Fahrer war über
das Steuerrad gekippt. Seine Mütze hatte er verloren. Seine rechte Hand preßte
er auf die linke Schulter und den Oberarm. Das Blut quoll zwischen seinen
Fingern hervor und lief in gezackten Rinnsalen über seine Lederweste. Er
stöhnte leise.
    Der zweite stand auf der anderen Seite
neben dem Wagen. Er ging langsam vorwärts, die Pistole in der Hand, von allen
Seiten kamen Leute, aber ich war einer der ersten gewesen.
    Der Jühl lag fünf Meter vor dem Wagen
auf der Straße. Er lag dicht neben der Kante des Bürgersteiges auf der Seite.
Der Trommelrevolver war ein Stück weit auf den Platten entlanggerutscht.
    Ich ging näher heran. Zwei Männer waren
schon da, aber sie blieben in einiger Entfernung. Ich konnte den Jühl gut
sehen. Niemand wußte etwas von mir. Ich war ein neugieriger Passant wie die
anderen.
    Der Jühl lag auf der Seite. Er lag so,
wie damals in der Kantine der Sirius, als ich mit ihm zusammengestoßen war. Nur
den Arm konnte er nicht mehr hochhalten. Drei Schüsse saßen untereinander in
seiner Jacke, neben dem ersten Knopf von oben. Sein Gesicht war friedlich und
still. Die Augen waren geschlossen. Die Pünktchen in der Iris konnte ich nicht
mehr sehen.
    Der Polizist kam heran, kurz hinter
mir: Sein Gesicht war naß, und die Mütze war ihm hoch in die Stirn gerutscht.
Es war das ratloseste Gesicht, das ich jemals gesehen hatte.
    »Waren Sie hinter dem her?« fragte ich.
    »Keine Spur«, seine Stimme zitterte
etwas.
    Er deutete mit dem Finger auf die Tür
des Hauses, an dem wir standen. »Gasvergiftung, hier drin. Wir kommen an, da
fängt der an zu schießen! Trifft Karl in die Schulter! Soll ich warten, bis ich
eine verpaßt bekomme?«
    »Das sollen Sie nicht«, sagte ich.
    Er nahm die Mütze ab.
    »So eine Scheiße«, sagte er. »Morgen
wird wieder in allen Zeitungen stehen, die Polizei schießt harmlose Bürger über
den Haufen. Ein Irrsinniger! Kann nicht mehr sagen.«
    Er war völlig fertig. Ich konnte ihn
nicht trösten. Ich

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