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Nimm Platz und stirb

Nimm Platz und stirb

Titel: Nimm Platz und stirb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
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Connerstein-Sachsa.«
Rechts und links davon wohnen von Zimmermann und Saul-Aschoff. Wie in alten
Zeiten. Man war wieder unter sich.
    Zwischen den Mauern und Wegen waren
einfache Gräber, viele eingeebnet, mit brüchigen Steinen und rostigen Kreuzen.
Auf einigen lagen frische Blumen. Ab und zu ragte eine abgebrochene Säule über
einem toten Freimaurer auf. Unser Weg führte in einem Bogen um ein
Buchsbaumgebüsch. Fast wurde man neugierig, was dahinter wäre, aber es waren
wieder friedliche alte Gräber unter Blumen und Laub.
    Ich wollte gerade den Vorschlag machen,
langsam umzukehren. Plötzlich blieb Gaby stehen. Alle blieben wir stehen. Ich
sah sie von der Seite an. Ihr Blick war starr auf irgendwas gerichtet, schräg
nach unten. Ich folgte ihm mit den Augen.
    Es war ein Grab wie alle anderen. Sand
und Efeu in einer steinernen Einfassung. Ein glatter Marmorstein mit goldener
Inschrift, leicht erblindet, aber gut zu lesen. Am Fuß des Steines lag ein
großer Strauß gelber und blauer Lupinen. Er war schon trocken und matt, aber es
waren die einzigen frischen Blumen auf dem Grab, zu dem Gaby hinstarrte.
    Elsie berührte Gabys Arm.
    »Ist das jemand, den du — gekannt
hast?«
    Gaby schüttelte den Kopf, kaum
wahrnehmbar.
    »Der Strauß«, sagte sie ohne Ton in der
Stimme. »Diesen Strauß da, den hat Stefan mir geschenkt — ich hatte ihn in der
Garderobe — , dann war er weg — «
    Ich sah sie scharf an, mit verkniffenen
Lidern, aber hinter ihrem Gesicht war etwas anderes. Ganz deutlich sah ich es,
als ereignete es sich in dieser Sekunde.
    Ihre Garderobe. Der Tag, an dem Serkoff
gestorben war. Ihre Worte:
    »Das Ekel! Er hat Stefans Blumen
genommen!«
    Lupinen! Einen Riesenstrauß Lupinen!
Die leere Vase neben dem Spiegel!
    Elsie hatte nichts verstanden. Ich
machte zwei schnelle Schritte auf das Grab zu. Meine Füße stießen an das
steinerne Rechteck. Die Schrift leuchtete mattgolden.
     
    ANDREA LORMER
    *15.3.1918
    * 6.1.1940
     
    Meine Stirn wurde etwas feuchter. Ich
spürte den Wind mehr. Andrea Lormer, zweiundzwanzig Jahre alt. Das
fehlende Glied. Die Mädchen hinter mir hatten sich nicht bewegt. Ich legte die
Hände auf den Rücken und bückte mich, als interessierte mich nur der Strauß.
Nur die Lupinen.
    »Na«, sagte ich. »Gabylein, es gibt
allerhand Lupinen. Soviel ich gehört habe, wachsen sie in allen Schrebergärten
und neben jedem Bahndamm.«
    Ich wandte mich um. Hoffentlich sahen
sie nichts an meinem Gesicht. Gaby hatte keine Augen dafür. Nur für den Strauß.
    .»Aber...«ihre Worte kamen heraus wie
in Verzweiflung, »es ist meiner — genauso war er — genauso...«
    Ich sah Elsie an, als bäte ich um
Mitleid für Gaby. Sie verstand. Sie streichelte Gabys Arm.
    »Die sehen alle gleich aus«, sagte sie.
»Wir haben viele Lupinen zu Hause. Bestimmt.«
    »Bestimmt, Gaby«, sagte ich. »Komm
weiter, laß der Guten ihre Blumen.«
    Wir nahmen sie in die Mitte. Zögernd,
mit kleinen Schritten kam sie mit. Sie drehte sich noch einmal um, bevor die
Buchsbäume den Blick auf das Grab versperrten. Ich brauchte es nicht zu tun.
Alles hatte ich im Gedächtnis. Den Namen, die Jahreszahlen und die Lupinen mit
den trockenen, traurigen Blüten.
    Wir erreichten den Mittelweg schnell.
Der Kies knirschte wieder wie vorher, und der Blumenhügel über Stefan
leuchtete. Ich sah hin und wunderte mich. Es war, als hätte er mir den Weg
gewiesen zum Anfang und zum Ende dieser blutigen Spur hinter den Buchsbäumen.
     
     
     

XX
     
    Es mußte noch ein Weg gemacht werden,
und ich ging ihn gleich am nächsten Morgen. Ich ging fort, bevor die Post kam.
Das Einwohnermeldeamt lag in der Altstadt, in einem Labyrinth von alten Gassen.
Es dauerte eine ganze Weile, bis ich einen Parkplatz gefunden hatte, und noch
länger, bis ich hinter der richtigen Tür vor dem richtigen Beamten saß.
    Es war das Zimmer 214 c. Zwei Stunden
meines Lebens verbrachte ich darin. Es war nicht einfach, viel
herauszubekommen, ohne viel zu verraten. Als ich den Raum verließ, wußte ich
alles.
    Ich ging zurück zum Wagen und fuhr nach
Haus. Ich war traurig und hatte Furcht. Das Schwerste stand noch bevor. Jetzt,
zum erstenmal sollte ich wirklich ein Held sein und gutmachen für drei Tote,
was ich an Fehlern begangen hatte.
    Im Briefkasten lag nur ein Brief. Er
war von der Sirius-Film mit der kurzen Mitteilung, daß in acht Tagen der Film
mit dem Titel »Mord, der nie verjährt« weitergedreht würde und ich mich zu
möglichen Drehbuchbesprechungen

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