Nina, so gefällst Du mir
Professor, hinter ihm Gunnar. Und Gunnar machte ein so merkwürdiges Gesicht. Er reichte Nina die Hand und drückte sie fest, ganz fest, sprach aber kein Wort.
Sie gingen durch lange, stille Flure. Vor einer Tür blieben sie stehen. Der Professor sagte ein paar Worte, die Nina nicht verstand. Und Gunnar flüsterte Nina zu: „Du mußt hier warten.“
Nina saß kerzengerade da und hatte die Hände auf dem Schoß zusammengepreßt. Laß es etwas Gutes bedeuten, lieber Gott! Mach, daß Katja sehen kann!
Die Tür ging auf. Und diesmal war keine Rede von einem Kloß im Hals bei Gunnar. Seine Augen waren regelrecht naß von Tränen, und es zuckte um seinen Mund, als er Ninas Blick begegnete. Er packte ihre beiden Hände, preßte sie ganz hart, so daß es weh tat. „Nina“, flüsterte er heiser. „Nina, sie kann sehen!“
Wenn Nina zurückdachte an die Tage, die jetzt folgten, dann kamen sie ihr vor wie ein Traum: das Telegramm an Gunnars Mutter, das Telegramm, das mit Worten verschwenderisch umging und begann: „Liebe Mutti, bereite dich auf eine unfaßbar große Freude vor…“ Und dann der Tag, als Gunnar zum Flugplatz fuhr, um seine Mutter abzuholen, während Nina und Onkel Johann in der Stadt Besorgungen machten.
„Diesen Tag sollen sie für sich allein haben“, sagte Onkel Johann. Und er ging mit Nina in so viele Geschäfte, daß die Zeit trotz allem schnell verging.
Den Abend verbrachten sie mit Onkel Johann und Frau Wigdahl, einer schlanken, blassen Dame mit einer leisenund schönen Stimme. Sie sah furchtbar müde und angestrengt aus, aber sie strahlte trotzdem vor Glück.
„Sie sind also Nina“, sagte sie und reichte Nina eine schmale, blasse Hand. „Ich habe so viel von Ihnen gehört, und ich freue mich sehr, Sie kennenzulernen und Ihnen danken zu können für alles, was Sie in diesen Tagen für unsere Katja getan haben.“
„Aber, liebe Frau Wigdahl, ich habe doch nichts getan“, sagte Nina verlegen.
„O doch, und nicht nur für Katja, glaube ich“, lächelte Frau Wigdahl.
Die Zeit verging. Gunnar und Nina mußten ernstlich an die Heimreise denken. Katja sollte noch einige Tage in der Klinik bleiben. Und mit der langen Heimreise mußte sie auch ein wenig warten.
„Ihr beiden müßt jetzt sehen, daß ihr nach Hause kommt“, sagte Onkel Johann. „Mama bleibt bei Katja, und ich bleibe noch einige Tage hier, jedenfalls, bis die Kleine aus der Klinik kommt, sonst würde Mama doch allzu allein sein in dieser fremden Stadt.“
„Du bist einzigartig, Johann“, sagte Frau Wigdahl.
„Das unterschreibe ich“, sagte Gunnar. Am Tage, ehe sie reisten, durfte Nina mit Gunnar zu Katja gehen. Sie saß im Lehnsessel mit dunkler Brille vor den Augen, einer Brille, die so gewissenhaft um ihren Kopf festgebunden war, daß sie sie nicht abnehmen konnte.
Sie wandte den Kopf, als die Tür ging, und lachte strahlend. „O Nina“, rief sie.
„Wußtest du denn gleich, daß ich Nina bin, Katja?“
„Klar! Du siehst genauso aus, wie ich es mir gedacht habe. Aber ich kann dich noch nicht so ganz ordentlich sehen, denn ich habe ja immer noch diese dumme Brille auf. Ach, Nina, wie furchtbar nett, daß du kommst. Nina, ich freue mich so,ach, du weißt gar nicht, wie ich mich freue. Und weißt du, Nina, gestern durfte ich Mama und Gunnar einen ganz kleinen Augenblick ohne Brille sehen! Und ich kann sehen, Nina. Mit dem einen Auge also. Und ich dachte doch, daß ich mich so gut an alles erinnerte. Aber es ist doch trotzdem ganz merkwürdig. Gunnar ist ja so groß geworden! Das war mir gar nicht eingefallen, daß er viel größer sein müßte als damals. Aber alle anderen Sachen sind so klein geworden. Das kommt wohl daher, daß ich in den fünf Jahren selber so gewachsen bin. Und dann sitze ich da und denke daran, daß ich Buchstaben lernen muß wie ein kleines Kind in der ersten Klasse.“ Katja gluckste vor Lachen. „Aber das geht sicher ganz schnell, Nina. Du, ich brauche dir jetzt gar keine Blindenschrift mehr beizubringen.“
Nina hatte sich neben Katja gesetzt und nahm ihre Hand. „Katja“, sagte sie, „Blindenschrift möchte ich lernen. Ich möchte meine Freizeit dazu gebrauchen, allen denen zu helfen, die kein solches Glück haben wie du. Nun habe ich doppelte Lust dazu. Es ist genauso wie…“ Nina stotterte, wandte den Blick und schaute Gunnar ein wenig ratlos an, und dann beendete sie den Satz mit einer leisen, rauhen Stimme: „… als ob ich irgendwie meine Dankbarkeit beweisen müßte,
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