Nixenfluch
tauber werden meine Finger. Doch ich muss weiterschwimmen. Faro ist vor mir. Das weiß ich, auch wenn ich ihn nicht sehe. Mach weiter, Sapphire. Zieh dich Stück für Stück nach vorn. Das Wasser fühlt sich kalt und leblos an, aber du bist immer noch in Indigo.
Vor allem habe ich Angst davor, dass der Tunnel irgendwann so eng wird, dass ich definitiv nicht mehr weiterkomme. Nie im Leben könnte ich den ganzen Weg bis zum Eingang zurückkehren. Dann wäre ich für immer hier eingeschlossen.
Als würde der Tunnel meine Angst spüren, bedrängt er mich mehr und mehr. Meine Hände tasten verzweifelt nach einem Halt. Meine Füße treten gegen die Decke.
Faro!
Keine Antwort. Meine Gedanken finden keinen Widerhall. Faro hat mich verlassen. Ich bin allein.
Panik ergreift von mir Besitz. Der Fels wölbt sich nach innen und droht mich zu zerquetschen. Meine Finger kratzen an der Oberfläche, aber dieses Mal kann ich mich nicht bewegen. Der Tunnel hält mich gefangen und will mich nicht mehr freigeben.
Doch während mein Inneres in Aufruhr ist, höre ich tief in mir eine leise Stimme. Ich weiß nicht, ob die Stimme mir oder Faro gehört. Denk nach, Sapphire. Benutz dein Gehirn. Solange du noch denken kannst, ist es nicht zu spät.
Ich erinnere mich daran, wie ich meinen Fuß befreit habe. Schieb dich zurück. Kämpf nicht dagegen an, weil sich der Knoten dann noch fester zieht.
Es ist eine der größten Herausforderungen, vor denen ich je stand. Wenn du gefangen bist, schreit jede einzelne Zelle deines Körpers nach Freiheit. Doch muss ich einen kühlen Kopf bewahren, denn nicht einmal Faro kann mir jetzt helfen. Ich bin sicher, dass er auf mich wartet, aber der Tunnel ist zu eng, als dass er zurückkehren und mich befreien könnte.
Allein der Gedanke, dass Faro auf mich wartet, lässt den Druck der Felswand ein wenig geringer werden. Auch die Decke drückt nicht mehr ganz so heftig gegen mich.
Du hast die tiefsten Tiefen des Ozeans überlebt, Sapphire. Keiner der Mer kann dort überleben, doch du hast es getan. Und was ist dieser Tunnel schon im Vergleich zur Tiefsee?
In diesem Moment nehme ich ein erstes Schimmern wahr. Es ist ein mattes grünliches Licht, so schwach, dass ich anfangs nicht sicher bin, ob ich richtig gesehen habe. Als ich meine Augen zusammenkneife, sehe ich ein vielfaches Funkeln in der Felswand, das wie ein Signal ist. Hab keine Angst. Wir sind bei dir.
Als hätte hier jemand eine Lichterkette aufgehängt. Aber es kann keine Lichterkette sein, weil es hier unten keine Elektrizität gibt. Ich spähe durch die Dunkelheit und dann sehe ich sie. Es sind kleine wurmartige Kreaturen, die sich an den Felswänden befinden. Das matte Leuchten kommt von ihren Köpfen. Immer mehr Lichter sehe ich aufscheinen. Sie bilden eine lange Reihe und weisen mir den Weg durch den Tunnel.
»Danke«, flüstere ich, worauf die Lichter heller werden. Als hätten die winzigen Kreaturen meinen Dank gehört und würden sich freuen, mir zu helfen.
Ganz langsam gibt der Fels mich frei, während ich mich allmählich entspanne. Ich gleite weiter. Zwischen dem Felsen und meinem Körper ist klares Wasser. Hartnäckig arbeite ich mich Stück für Stück nach vorn. Zentimeter um Zentimeter. Der Tunnel, der sich nun wieder weitet, macht eine Biegung nach links …
Ein schwaches Licht in der Ferne, dann sehe ich eine Gestalt, eine Bewegung …
Ein Seeaal!
Nein. Es ist ein vertrautes Bild, stark und geschmeidig wie die Schwanzflosse einer Robbe. Faros Flosse. Er schwimmt vor mir.
»Faro!«
»Ich hab mich schon gefragt, wo du bleibst, kleine Schwester. Ich wollte dich mit meinen Gedanken erreichen, aber ich bin nur auf Felswände gestoßen.«
Ich schließe zu ihm auf und bin so erleichtert, dass ich Angst habe zu schluchzen, wenn ich den Mund aufmache. Faro dreht sich um und lächelt verschmitzt.
»Die Seeaale haben dich also doch nicht gefressen.«
Ich lache kläglich.
»Du bist doch größer als ich, Faro. Wie bist du nur durch diese enge Röhre gekommen?«
Faro zuckt die Schultern. »Wir sind wohl daran gewöhnt. Unser Körper passt sich automatisch der Form des Felsens an. Solange man nicht darüber nachdenkt, hat man keine Schwierigkeiten.«
Der Tunnel öffnet sich wie eine Blume auf einem Stängel. In der Ferne höre ich ein leises Murmeln, das in Wellen an mein Ohr dringt. Faro nimmt meine Hand.
»Warte, Sapphire.«
Lauschend gleiten wir weiter. Das Licht ist noch stärker geworden, und jetzt sehe ich, dass die
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