Nixenjagd
noch studieren wollte, stellte eine enorme Belastung für den Familienhaushalt dar. Die Pankaus hätten es lieber gesehen, wenn ihre Tochter eine Lehre gemacht hätte. Die heiratet ja doch , dachten sie, auch wenn sie es nicht aussprachen und vor anderen so taten, als seien sie stolz auf ihre kluge Tochter. Katrin war bis zur Pubertät ein ruhiges Kind gewesen, das bemüht war, nicht aufzufallen. Womit auch, sie hatte wenig vorzuweisen. Aber mit dreizehn, vierzehn Jahren gab es auf ein mal doch etwas, das sie vielen anderen voraushatte: Sie war hübsch geworden. Plötzlich starrten Jungs und Männer ihr hinterher und die Mädchen bewunderten und beneideten sie. Ihr Aussehen war nun also ihr Kapital, und so wie es Dagobert Duck bisweilen dazu drängte, in seinem Geldspeicher zu baden, drängte es Katrin, sich ihre Anziehungskraft bestätigen zu lassen. Paul war eine Eroberung der Extraklasse. Silke war jetzt sicher stinksauer. Bildete sich weiß Gott was ein, weil sie es mal bei Popstars bis in die zweite Runde geschafft hatte. Und dann auch noch Franziska. Sonst nie was von Jungs wissen wollen, den ganzen Tag nur »anspruchsvolle« Bücher lesen – und den dicksten Fisch im Teich angeln wollen. Jeden anderen hätte sie ihrer Freundin gegönnt, wirklich. Aber nicht Paul, sagte sich Katrin, während sie immer weiter auf den dunklen See hinausschwamm. Sie schwamm gerne. Es war befreiend, dieses fast schwerelose Dahingleiten. Sie erreichte die Boje und hielt sich kurz daran fest. Hier draußen war sie fast allein. Nur rechts von ihr schwamm ein Pärchen, aber die beiden bewegten sich im Bogen weg von ihr. Zu ihrer Linken dümpelte das kleine Ruderboot, das mit einem Seil an der Boje hing. Es war windstill und das Wasser fühlte sich samtweich an. Sie vernahm ein Plätschern hinter sich und aus dem Augenwinkel war ihr, als würde ein dunkler, unförmiger Schatten auf sie zugleiten. Aber im nächsten Augenblick war nichts mehr zu sehen. Nur ein paar Wellen schlugen an ihren Hals. Für einen Moment hatte sie gehofft, dass Paul doch noch gekommen war. Wenn es bloß einer dieser angesoffenen Kerle war, der sie erschrecken wollte, dann nur zu! Dem würde sie es schon zeigen. Aber alles blieb ruhig. Sie musste sich getäuscht haben. Sie legte das Kinn auf ihre über der Boje verschränkten Arme und betrachtete das Mond licht auf dem Wasser. Als würde man in purem Silber baden. Die Stimmen und das Lachen der anderen schallten über den See: »Pfoten weg!« »Wer schneller am Floß ist...« »He, meine Badehose...« »Rico, du Sau!« »Hier kommt Nessie und holt sich eine Badenixe«, hörte sie Roberts heisere Stimme und gleich darauf ertönte ein hysterisches Kreischen, das in Gekicher überging. Bestimmt Silke. Vorhin, auf dem Weg zum See, hatte Katrin sie gefragt, ob sie auch noch ein paar abgelegte Klamotten von ihr haben wollte, als Zugabe. Silke hatte sie nur böse angefunkelt. Beim Gedanken daran musste Katrin grinsen. Sie ließ die Boje los, streckte ihren Körper und ließ sich in der Tote-Mann-Stellung treiben. Ihr Kopf war fast vollständig unter Wasser getaucht, nur Nase und Augen schauten noch heraus. Jetzt sah sie noch die Sterne und den Mond. Den Schatten, der sich in ihre Richtung bewegte, sah sie nicht.
5
Silke war wütend. Katrins bissige Bemerkung über die abgelegten Klamotten – in Anspielung auf Robert – nagte an ihr. Sie hatte keine Lust mehr, mit Robert im Wasser herumzualbern, deshalb war sie eine der ersten, die aus dem See stieg. Ihr war kalt. Dennoch postierte sie sich am Ufer, in ein Badehandtuch gewickelt, wie eine römische Rachegöttin. In Gedanken legte sie sich ein paar schneidende Bemerkungen zurecht, die sie Katrin so bald wie möglich an den Kopf werfen wollte. Ro bert kam bald nach ihr aus dem Wasser, sie schickte ihn unwirsch weg. Schließlich stiegen auch die Allerletzten fröstelnd aus dem See. Nur Katrin nicht. Vielleicht war sie woanders an Land gegangen, um ihr aus dem Weg zu gehen? Nun gut, dann würde sie Katrin ja gleich am Zeltplatz finden. Silke trat den Rückweg an. Ihr Zorn war durch das vergebliche Warten nicht gerade kleiner geworden.
6
Wie wohltuend die Stille unter Wasser war. Als befände man sich auf einem anderen Planeten. Vielleicht auf dem hellen Stern direkt über ihr. Als sich etwas um ihre Taille schlang, erschrak Katrin fürchterlich. Ihr Aufschrei ging buchstäblich unter. Sie schluckte Wasser. Verzweifelt versuchte Katrin, sich aus dieser eisernen
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