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Nixenjagd

Nixenjagd

Titel: Nixenjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Mischke
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Duschraum einer Schulturnhalle aus den Sechzigerjahren: weiß geflieste Wände, gesprenkelter Steinboden, eine Atmosphäre der Kälte. Es gab drei stählerne Seziertische, im Moment war nur einer davon belegt. »Leider kein schöner Anlass, wie immer«, meinte Petra und rieb ihre schmerzende Rechte. Kretschmers Händedruck war geeignet, einem die Mittelhandknochen zu brechen. Vor einer Stunde hatte Petra das Obduktionsprotokoll erhalten. Zum Glück hatte sich Daniel Rosenkranz dazu bereit erklärt, als Vertreter der Ermittlungsbehörde der Obduktion beizuwohnen. Natürlich nicht ohne den Hinweis »Dafür hab ich aber was gut bei dir!«. Dem Bericht nach war das Mädchen ohne jeden Zweifel ertrunken, ihre Lungen waren mit Seewasser gefüllt. Kein Hinweis auf einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall. Am Ende des Berichts war Petra auf etwas Auffälliges gestoßen. Sie hatte in der Rechtsmedizin angerufen und ihren Besuch angekündigt. Nun folgte sie Kretschmer in den angrenzenden Raum. Die sechsunddreißig Kühlkammern nahmen zwei Wände ein. Dazwischen stand ein Hubwagen. Kretschmer zog eine der unteren Boxen heraus und Petra be trachtete die nackte Tote. Als man sie aus dem See gefischt hatte, war ihr Haar nass und der Körper schlammverschmiert gewesen. Nun waren Haut und Haar gesäubert worden und man sah, dass das Wasser kaum Spuren an der Leiche hinterlassen hatte. Dafür aber die Obduktion: Eine Y-förmige Naht verunzierte den Oberkörper. Katrin Pankau schien auf eine etwas vordergründige Art hübsch gewesen zu sein: gut entwickelte Brüste, eine Taille wie eine Sanduhr. Die Haut war gebräunt, auch wenn sie jetzt, im Neonlicht, wächsern wirkte. Langes, gesträhntes Blondhaar, Schmollmund. Die Zähne standen etwas schief. Vielleicht hatten die Eltern kein Geld gehabt, um diesen kleinen Makel auszumerzen. Mit etwas Aufwand und Make-up hatte das Mädchen sicherlich dem gängigen Schönheitsideal mehr als entsprochen. Dem männlichen Ideal vor allen Dingen. »Ein hübsches Mädchen«, bemerkte der Rechtsmediziner denn auch prompt. »In Ihrem Bericht steht etwas von Hämatomen«, nannte Petra den Grund ihres Besuchs. »Die würde ich mir gerne mal ansehen.« Kretschmer deutete auf die Rippen. »Sehen Sie hier. Diese roten Flecken. Und dort ebenfalls, an den Oberarmen und am Hals.« Petra betrachtete die dunkel verfärbten Stellen, auf die der Arzt deutete. »Würgemale?« »Nein, gewürgt wurde sie nicht. Nur festgehalten.« »Gibt es keine Kratzspuren von Fingernägeln am Körper?« »Nein, sonst hätte ich das schon erwähnt«, sagte Dr. Kretschmer, während Petra nachdenklich die rot lackierten Nägel des Mädchens betrachtete. »Hautpartikel unter ihren Fingernägeln?«
    »Nichts Brauchbares. Wasserleichen sind immer ein Desaster, was die Spurenlage angeht.« »Was ist das?« Die Kommissarin deutete auf den geröteten Nabel des Mädchens. »Ich zeig’s Ihnen.« Er ging hinüber in den Sektionsraum und kam mit einer silbernen Spinne von der Größe einer Ein-Euro-Münze zurück. »Ein Bauchnabel-Piercing. Es hatte sich entzündet. Kann mir mal einer sagen, warum sich hübsche Mädchen so was antun? Oder haben Sie etwa auch eins?« Der Mediziner sah Petra abwartend an und grinste dazu süffisant. »Sie werden in Ihren kühnsten Träumen nicht erraten, wo ich mein Piercing trage«, schwindelte Petra und grinste zurück. Dann wurde sie wieder ernst. »Diese Hämatome . . . könnten das Spuren eines Kampfes sein?« »Das ist nicht auszuschließen«, meinte der Mediziner. »Aber?«, sagte Petra. »Nun, es könnte sich auch um sehr leidenschaftlichen Sex handeln.« »Das müsste dann aber schon recht wild zugegangen sein«, meinte Petra Gerres. »Weiß man’s?«, antwortete Dr. Kretschmer lakonisch. »Die Jugend von heute . . . Immerhin hatte sie ja auch schon ganz schön was intus.« Dem Protokoll nach hatte Katrin Pankau zum Zeitpunkt ihres Todes – den der Mediziner zwischen ein und drei Uhr in der Nacht angab – etwa 1,2 Promille Alkohol im Blut gehabt. Keine Spuren von Drogen. 1,2 Promille, grübelte die Kommissarin. Ein ordentlicher Rausch für eine Sechzehnjährige, aber sicher kein Vollrausch. Man müsste wissen, ob das Mädchen Alkohol gewohnt war. Die Eltern bestritten das. Aber was wussten Eltern schon über ihre halbwüchsigen Kinder? Meistens erschreckend wenig. Sie wandte sich ab. »Danke«, sagte sie zu Dr. Kretschmer. »Dafür nicht«, sagte der und schob den Leichnam wieder an seinen Platz.

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