Nixenjagd
Umklammerung zu winden. Sie stieß und strampelte mit den Beinen, ihre Hände krallten sich in die Arme, die sie nun an Hals und Brustkorb festhielten. Doch es war keine menschliche Haut, die sie berührte. Unaufhaltsam wurde sie in die Tiefe gezogen, dorthin, wo das Waser eiskalt war.
7
Am Feuer kreiste ein letzter Joint. Katrin war nirgends zu sehen. Silke ging mit entschlossenen Schritten zu Katrins Zelt und riss den Reißverschluss nach oben. Es war leer. Von einer Sekunde zur anderen verflüchtigte sich Silkes Zorn und machte einer undefinierbaren Unruhe Platz. Bei Franziskas Zelt stand der Reißverschluss ein Stück offen. Silke spähte hinein. Franziska schlief oder tat so. »Franziska, hast du Katrin gesehen?«, fragte Silke in das Dunkel. »Nein, und ich will sie auch nicht sehen«, kam es prompt von drinnen. Silke inspizierte nun auch Pauls Zelt. Auch das war leer. Sie ging wieder zu den anderen ans Feuer. Jetzt erst bemerkte sie Paul, der gerade an der Tüte zog, die Robert ihm reichte. »He, Leute! Weiß jemand, wo Katrin ist?«, fragte Silke lautstark in die Runde. Kaum war der Satz verklungen, schaute sie in die erschrockenen Augen von Paul.
8
Petra Gerres wurde wach, weil ihr Mobiltelefon den Walküren-Ritt piepste. Das war der Ton, den Petra dem Ersten Hauptkommissar Udo Lamprecht zugeordnet hatte. Sie fuhr in die Höhe. »Ja, Chef?« Ihre Stimme klang krächzend, als hätte sie die Nacht in Kneipen verbracht. Dabei war sie nur vor dem Fernseher eingeschlafen. »Wir haben eine vermisste Person am Blauen See. Möglicherweise ertrunken. Weiblich, sechzehn Jahre alt. Seit Sonnenaufgang sind Polizeitaucher vor Ort...« Noch während Lamprecht ein paar weitere Details nannte, schälte sich Petra aus der Bettdecke und stand auf. »Nehmen Sie den Kollegen Rosenkranz mit«, befahl Lamprecht. »Und rufen Sie erst den Bericht der Kollegen vom Kriminaldauerdienst ab. Die waren schon recht fleißig und haben mit etli chen Zeugen gesprochen, während sie auf die Polizeitaucher gewartet haben.« »In Ordnung«, sagte Petra. »Und Ihnen noch ein schönes Wochenende.« Sie legte auf. Ein leichter Schwindel befiel sie. Sie hätte nicht so rasch aufstehen dürfen. Und sie hätte gestern Abend nicht die ganze Flasche Rotwein trinken dürfen. Sie wankte ins Bad. Nach einer oberflächlichen Morgentoilette rief sie ihren jungen Kollegen an. Dies bereitete ihr ein gewisses sadistisches Vergnügen. Erst recht als Daniel Rosenkranz stöhnte: »Scheiße, ich bin doch gerade erst in die Kiste!« Und vermutlich nicht allein, dachte Petra mit einer Spur Neid.
Zwanzig Minuten später saß Oberkommissarin Petra Gerres neben Kommissar z. A. – was »zur Anstellung« bedeutete – Daniel Rosenkranz auf dem Beifahrersitz und las den Bericht des Kollegen vom Kriminaldauerdienst laut vor. ». . . in der Nacht von Freitag auf Samstag sind gegen 1:30 Uhr etwa vierzig Schüler gemeinsam schwimmen gegangen. Zuvor war reichlich Alkohol getrunken worden, vor allem sogenannte Alcopops .« »Garantiert ist auch gekifft worden«, unterbrach sich Petra. »Meinst du?« »Klar, ich kenn das doch.« Petras Abitur lag vierzehn Jahre zurück – eigentlich eine Ewigkeit. Und doch waren die Erinnerungen noch immer sehr präsent. »Bei uns an der Schule wurde nicht gekifft«, behauptete Daniel. »Dann hast du’s vielleicht nicht mitgekriegt«, antwortete Petra und gähnte. »Aber du gehörst ja schon zur Pillen-Generation.« Daniel war siebenundzwanzig, sechs Jahre jünger als Petra. Er war seit zwei Monaten im Dezernat 1.1. K der Polizeidirektion Hannover, das zuständig war für Straftaten gegen Leben/Frei heit, Todesermittlungen, Vermisste, unbekannte Tote . Petra und Daniel gehörten zu Lamprechts Abteilung Todesermittlungen . »Ich habe auch keine Pillen eingeworfen.« »Warst wohl ein Musterknabe, was?« Petra las weiter: » Die Zeugen Silvia Grob und Torsten Kampmann, zwei Abiturienten , gaben an, Katrin an einer Boje gesehen zu haben. Sie war allein. Die Boje befindet sich etwa zweihundert Meter vom östlichen Ufer entfernt. Das Paar war – allerdings in einigem Abstand – an dem Mädchen vorbeigeschwommen. Die beiden schwammen noch geschätzte einhundertfünfzig Meter weiter, dann drehten sie um. Bei ihrer Rückkehr sei die Boje verlassen gewesen. Beide gaben an, während des Schwimmens nichts gehört zu haben, insbesondere keinen Schrei aus der Nähe der Boje. Da aber gleichzeitig über den ganzen See der Lärm der herumalbernden
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