Nixenmagier
das Fernsehen denn was mit der Wirklichkeit zu tun?«, fragt Faro interessiert. »Ich dachte, es würden dort nur Geschichten gezeigt, die Menschen sich ausgedacht haben. «
»Nicht nur«, sage ich. »Die Nachrichten haben mit der Wirklichkeit zu tun.«
»Es ist gut, etwas über die Menschenwelt zu wissen«, stellt Faro entschieden fest. »Manche Mer sagen, wir sollten uns davon fernhalten, doch ich finde euer Leben sehr interessant. «
»Wenn du so redest, komme ich mir vor wie ein Tier im Zoo!«
»Zoos! Wir könnt ihr Menschen nur Tiere in Käfigen gefangen halten, obwohl diese euch anflehen, freigelassen zu werden?«
»Wir verstehen sie nicht. Du weißt doch, dass wir nicht mit Tieren reden können.«
»Ja, stimmt. Dafür könnt ihr nichts.«
Faro drückt freundschaftlich meine Hand. Da er sich mit Walen, Delfinen, Seeigeln und Seeadlern unterhalten kann, ist es eigentlich kein Wunder, dass er unser Leben für etwas eingeschränkt hält.
Ich glaube, dies ist das wichtigste Gespräch, das ich jemals mit Faro geführt habe. Er hat das erste Mal zugegeben, dass auch in Indigo nicht alles perfekt ist. Im stillen Dunkel fällt es uns leichter, offen miteinander zu reden und nicht zu streiten.
»Ich wünschte, ich könnte diese Inseln kennenlernen«, sage ich zu ihm.
»Das kannst du sofort, wenn du willst.«
»Wirklich?«
»Aber ja! Zu der Versammlung kann ich dich zwar nicht mitnehmen – das wäre den anderen Mer nicht recht –, doch wir könnten eine der Inseln besuchen.«
Wir schwimmen aus der Vertiefung heraus und sind von verschiedenen Strömungen umgeben. Sie sind nicht so mächtig wie diejenige, die uns hierher gespült hat, sondern eher
wie kleine sprudelnde Bäche, die auf der Haut prickeln. Das Licht ist stärker geworden, und während wir über den Meeresgrund gleiten, verstehe ich auch, warum: Wir sind in seichtere Gewässer gelangt.
»Ich will nicht wieder an die Luft«, sage ich besorgt. »Ich will nicht die Wasseroberfläche durchstoßen, um mich auf eine einsame Insel verschlagen zu fühlen, meilenweit von Cornwall entfernt.«
»Wir verlassen Indigo ja nicht, aber die Inseln haben wir fast erreicht. Schau nach vorne, Sapphire!«
Ein merkwürdiger Anblick. Als würde man mit einem Boot auf die Küste zuhalten, nur dass das mondbeschienene Land, das wir ansteuern, unter Wasser liegt. Hier sind die Felsen. Dort ist der Strand. Eine lange Mauer ragt aus dem Sand auf. Das muss früher die Kaimauer gewesen sein. Am versunkenen Ufer erblicke ich die steinigen Überreste von Gebäuden, die einst Wohnhäuser waren. Die Türen sind verschwunden, vermutlich verfault. Die glaslosen Fenster sehen wie starrende, hungrige Augen aus. Statt mit Dachziegeln sind die Häuser mit Seetang bedeckt, der sich sanft in der Strömung wiegt.
Das alles macht mir Angst. Ich frage mich beklommen, was wohl aus den leeren Türen kommen mag: eine krabbelnde Krebsfamilie, ein Seeaal oder eine Qualle mit langen, suchenden Tentakeln. Normalerweise machen mir diese Tiere keine Angst, doch sie sollten nicht hier sein, in den Häusern der Menschen. Stattdessen sollten die Schornsteine rauchen und die Häuser vom Geruch nach Essen, menschlichen Stimmen und Lachen erfüllt sein. Ich wende mich ab.
»Gefällt es dir nicht?«, fragt Faro.
Als ich den Kopf schüttele, legen sich mir die Haare wie Seegras übers Gesicht. Ich bin froh, dass Faro meine Miene nicht erkennen kann. Die versunkene Stadt lässt mich nicht los. Ich betrachte das Kopfsteinpflaster, das sich hinter den Häusern dahinzieht, und den gedrungenen, viereckigen Turm, der einst zur Dorfkirche gehört haben muss. Ein Wetterhahn ist zu sehen. Ich frage mich, ob er sich dreht, wenn die Gezeiten ihre Richtung ändern. Denkt er, dass es der Wind ist, der ihn bewegt? Alles wirkt so verlassen, einsam und traurig. Wie ein Friedhof.
»Dies ist ein Wallfahrtsort«, sagt Faro.
»Ein Wallfahrtsort?«
»Ja, die Pilger kommen von weit her, um sich anzusehen, wozu das mächtige Indigo in der Lage ist. Wo früher Land war, ist jetzt Wasser.«
»Na großartig«, sage ich ironisch. »Ich hoffe, sie genießen den Anblick.«
»Du hast keinen Grund, eingeschnappt zu sein«, sagt Faro. »Dass die Holländer das Meer zurückdrängen, gefällt dir, aber wenn das Land vom Meer überflutet wird, gefällt es dir nicht. Dabei ist es ein ganz normaler Vorgang, so wie die Gezeiten. Bei Ebbe kannst du dich dort aufhalten, wo du sechs Stunden später ertrinken würdest.«
»Aber das
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