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Nixenmagier

Nixenmagier

Titel: Nixenmagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Dunmore
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keine Rolle. Ich muss dir so viel zeigen, Sapphire.«
    Er lässt meine Hand los und macht einen Rückwärtssalto
nach dem anderen, bis das Wasser so heftig schäumt, dass ich ihn nicht mehr erkennen kann. Schließlich taucht er aus dem brodelnden Strudel wieder auf und nimmt erneut meine Hand.
    »Komm mit, Sapphire! Nachts ist es am allerschönsten.«
    »Warum?«
    »Weil du nachts Dinge siehst, die dir tagsüber verborgen bleiben.«
    »Was für Dinge?«
    »Wart’s ab.«
    Wir schwimmen Hand in Hand. Vor uns schießt eine dunkle, samtblaue Strömung dahin. Wir hechten in sie hinein. Die Strömung ist so stark, dass ich fast zerquetscht werde. Sie wirbelt mich herum, rüttelt und schüttelt mich, doch kann ich ihr nicht entkommen. Sie hat mich in ihrer Gewalt. Ich bin wie ein Vogel in den Klauen einer Katze, kann der Strömung nichts entgegensetzen, und sie kennt ihre Stärke.
    So fühlt man sich, wenn man gerade im wildesten Fahrgeschäft eines Vergnügungsparks festgeschnallt wird und weiß, dass es kein Zurück mehr gibt. Die Fahrt beginnt, und du siehst das amüsierte Lächeln des Angestellten, dem es völlig egal ist, wie es dir geht. Doch Indigo ist kein Vergnügungspark, wo Leute ihren Job verlieren, wenn ein Fahrgast ums Leben kommt. Hier kann alles passieren. Wenn ich jetzt sterbe, wird nie jemand davon erfahren. Sie werden einfach sagen, ich sei ertrunken, so wie sie gesagt haben, dass Dad ertrunken ist.
    Ganz ruhig, Sapphire. Kämpf nicht gegen die Strömung an, dann kann dir nichts passieren. Beruhigende Gedanken fluten durch meinen Kopf, und für einen Moment bin ich
nicht sicher, ob es Faros Gedanken sind oder meine. Teilen wir sie wieder, so wie diesen Sommer? Entspann dich, und lass der Strömung ihren Willen. Ich werde kräftig durchgeschüttelt und bekomme es mit der Angst. Ich kann nicht atmen …
    Vergiss deine Atmung. Die Luft ist eine andere Welt und hat hier keine Bedeutung. Konzentriere dich ganz auf die Gegenwart. Denk an Indigo. Hier. Jetzt.
    Die Worte pulsieren in meinem Kopf. Hier. Jetzt. Lass alles hinter dir und sei bereit. Ich habe es schon früher getan, doch niemals war es so schwer wie in diesem Moment. Indigo bei Nacht ist so finster, so gewaltig. Kein gemütlicher Spielplatz, sondern ein wildes Königreich. Wie leicht kann man sich hier verlieren. Die Panik lässt meinen Körper erzittern. Nein, Sapphire, nein, so geht das nicht. Panik macht dich taub und blind.
    Ich höre auf zu kämpfen und habe das Gefühl, mich aus einem Käfig zu befreien. Ich bin im Herzen der Strömung geborgen. Da vorne ist Faro, nur ein kleines Stück von mir entfernt. Seine Schwanzflosse schimmert bläulich im Mondlicht. Ich kann weder sein Gesicht noch seine Hände oder irgendetwas anderes an ihm erkennen, das an einen Menschen erinnert. Nur seine starke Schwanzflosse, wie die einer Robbe, die ihn durchs Wasser treibt. Wir schwimmen schneller, als ich es mir je erträumt habe, fliegen im Dunkeln durch Indigo.

    Schließlich schießt die Strömung ohne uns davon und katapultiert uns förmlich in ruhigere Gewässer. Wir müssen viele Kilometer weit vom Land entfernt sein. Ich bin völlig erschöpft. Sogar Faro scheint müde zu sein, denn er zieht
mich mit sich zum Meeresgrund hinunter, wo der Sand von tiefen Furchen durchzogen wird. Wir lassen uns in eine der geschützten Vertiefungen sinken, um uns auszuruhen. Hier unten ist es nahezu stockdunkel.
    »Wo sind wir, Faro?«
    Meine Stimme erzeugt ein merkwürdiges Echo.
    »In der Nähe der Verlorenen Inseln.«
    »Warum heißen die so?«
    »Im Grunde sind sie nicht alle verloren. Einige von ihnen ragen über die Wasseroberfläche, und es leben immer noch Menschen auf ihnen. Doch die größten Inseln sind vor mehreren hundert Jahren in einer einzigen Nacht zu uns gekommen. «
    »Zu euch gekommen? Wie meinst du das? Gab es einen Kampf?«
    »Ja, es gab einen Kampf, aber nicht mit Schwertern und Pistolen. Die Inseln fielen uns zu, weil das Wasser anstieg.«
    »Und warum ist das Meer angestiegen?«
    »Es war eben an der Zeit, nehme ich an«, antwortet Faro.
    »Aber was ist mit den Leuten passiert, die auf den Inseln gelebt haben?«
    »Manche gingen verloren«, sagt Faro unbeteiligt. »Andere sind mit ihren Booten zu den Nachbarinseln gefahren, die immer noch über Wasser lagen.«
    Ich kann sein Gesicht in dieser Düsternis nicht erkennen, doch die Gleichmütigkeit in seiner Stimme ist unerträglich.
    »Faro, sprich bitte nicht so, als … als wäre alles eine Frage

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