Nizza - mon amour (German Edition)
Bloch, der nicht bisherige Positionen überprüfte; als Bloch in Sanary eintraf, beeindruckte er im Nu mit seinem talmudisch-bänkelsängerischen Klären des Marxismus – voll raffinierter Thesen, Witze, voll Fußangeln und verspielter Wendungen. Berühmt wurde sein Satz zum obligaten Kultur-Erbe: »Gewiß muß die Tante tot sein, die man beerben will; doch vorher schon kann man sich sehr genau im Zimmer umsehn.« Die Zimmer der emigrierten Schriftsteller waren ärmlich und leer. Die Köpfe waren es nicht. Die Liste der allein in Sanary-sur-Mer entstandenen Bücher, Gedichte, Dramen, Essays bilden den Katalog einer erlesenen Bibliothek der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts. Bis sich »die Flut verlaufen« hatte, sollten noch viele Jahre vergehen. Gewartet auf dieses Ende haben sie alle.
Wenn unsere Gedanken, Abschweifungen und Erinnerungen nun zurückwandern nach Nizza, soll auch für den Fixpunkt dieses kleinen Buches festgehalten werden: Wahrlich, man konnte auch weniger elegant sterben an der Côte d’Azur als die exquisite Marquesa; es ist erst wenige Jahrzehnte her, da raste das Grauen durch Straßen und Plätze, durch Hotels, Pensionen und die kleinen möblierten Zimmer, in denen sich Emigranten versteckten. Allein 12000 von ihnen – jüdische Ärzte aus Wien, Journalisten aus Berlin, »normale« Franzosen, die sich nach 1942 in den anfangs nicht besetzten Süden gerettet hatten – wurden von der Riviera aus deportiert. 100 kehrten zurück. Eine von ihnen, Stella Silberstein, hat in ihrem Erinnerungsbuch »Hotel Excelsior« Zeugnis gegeben von Not, Elend und Tod der Untergetauchten. Der Name dieses kleinen bürgerlichen Hotels in der Avenue Durante löst noch heute Entsetzen aus: Es war das Gestapo-Hauptquartier, in dem u. a. der berüchtigte SS -Hauptsturmführer Alois Brunner residierte – wenn er nicht Folterungen im Hotel »Hermitage« im Stadtteil Cimiez anordnete. Wenn dies hier kein Buch wäre, müßte ich die collagierende Schnitt-Technik des Films anwenden, um den Irrsinn einer wildgewordenen Gleichzeitigkeit kenntlich zu machen: Eben saß man noch in einem Straßencafé und erzählte sich ungläubig von Thomas Manns Warnungen im Londoner Rundfunk (»Wir glaubten ihm nicht«), da saß man schon in einem vom eigenen Kot stinkenden Kellerloch, in dem man nur von einer Concièrge versorgt wurde, die, statt zu sprechen, den Finger an die Lippen legte; eben hatte man noch spärlich, aber ausreichend mit Freunden zu Abend gegessen, da war man denunziert, verhaftet, fand sich im »Hotel« Excelsior wieder: »Es ist streng verboten, aus dem Fenster zu schauen, Zuwiderhandelnde werden erschossen.« Und sie wurden erschossen. Der junge Apotheker, der keß gesagt hatte »Je m’en fous«: »Im dritten Stock, nahe beim Fenster am Fußboden, da war ein Fleck. Das war alles, was von dem Vorfall mit dem Apotheker zeugte.« – »Plötzlich hörte ich eine Stimme hinter mir brüllen ›Halt!‹ Ich drehte mich nach links. Dort war eine Tür, bewacht von zwei SS -Leuten. Als ich mich ihnen näherte, rissen sie die Tür auf. Eine Schußdetonation erklang ohrenbetäubend nahe. Vor mir glitt ein Junge von höchstens 17 Jahren zu Boden.« Es preßt einem das Herz zusammen, diese Film-Montage aus Zerrbildern, wie aneinandergeklebt zu falscher Spulengeschwindigkeit: die Sonnenschirme am Strand und das von den Fausthieben zerfetzte Gesicht des Résistance-Kämpfers; der freundlich dargebotene Veilchenstrauß und die herausgeputzte Denunziantin (»Je viens de signaler des juifs«), die für jeden Juden 1000 Francs in bar von den Deutschen erhielt; der Korb reifer Pfirsiche und das Erbrochene im Vieh-Waggon. Baie des Anges? Wo waren die Engel? Es ist ein Gebot der Würde und des Respekts, der Rechtlosen und Geschändeten eingedenk zu sein, auch heute, auch wenn die Palmen rascheln und die Mimosen duften. Viele Autoren – der nach Roquebrune-Cap-Martin geflüchtete ehemalige Simplicissimus-Redakteur Franz Schoenberner oder Walter Hasenclever (in seinem Buch »Die Rechtlosen«) – haben von den chaotischen Zuständen beispielsweise des Internierungslagers Fort Carré in Antibes, 20 Kilometer westlich von Nizza, berichtet. Eines von insgesamt 62 Internierungslagern lag unweit vom Bahnhof St-Nicolas in Antibes, fast im Ortszentrum.
Wie geht man da mit sich selber um, angenommen, man macht einen Ausflug nach Antibes? Noch einmal hilft Stella Silberstein. Sie, Überlebende von Auschwitz, besucht nach dem Krieg Nizza,
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