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Nizza - mon amour (German Edition)

Nizza - mon amour (German Edition)

Titel: Nizza - mon amour (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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soll ein Mensch so viel Land besitzen?« – wenn so etwas möglich ist: Sind meine Gedanken dann Utopie, Illusion? Ich weiß es nicht. Und verzehre beim Grübeln 6 Austern.
    Ohne Zögern zugegeben: Ich ziehe die bequemeren Strandabschnitte vor, ich kann auf den Steinen weder liegen noch gehen; doch wenn ich (besonders gerne im Herbst, den man in Südfrankreich oft schon un peu triste nennt) so wohlversorgt und weich liege, vielleicht bereits mit einer leichten Decke – dann scheinen mir die Fische wimpernlos zuzublinzeln, die Möwen das Lied vom »Weißt du noch« zu intonieren, und die dünne Musik druselt herüber aus jener Zeit, da man verliebt mit dem weinbefeuchteten Finger das Glas zum Schwingen und Klingen brachte: Das Geld reichte nicht für ein zweites. Auch diese Sehnsucht nach der Vergangenheit spült das Meer an Nizzas Küste in die Seele. Schmeichelndes Streicheln, des Plusterflügels Erinnerung. Wenn es damals mit dem klapprigen VW nach Vallauris ging – seinerzeit noch ein beschauliches Dorf, wo man sich in der Töpferei Madoura eine Picasso-Keramik nicht leisten konnte, angebliche Originale, die noch immer zu horrenden Preisen feilgeboten werden –, wird jetzt der Renault Clio gesattelt: Auf geht’s nach Antibes. Die Strafe (denn wahrlich, Antibes ist kein Vorort von Nizza) folgt auf dem Fuße; wenn man Pech hat, in Form eines »Platten« – und auf der Straße Nizza–Antibes gibt es kaum eine intakte Tankstelle, etwa mit der Möglichkeit, den Reifendruck zu kontrollieren. Über die gesamte Wegstrecke, etwa Villeneuve-Loubet, hat der liebe Gott im Zorn Wannen von Beton ausgekippt, »Marina Baie des Anges« – ausgerechnet »Marina Engelsbucht« nennt sich das scheußliche Hochhausgebilde, eine himmelbleckende Baulöwenschande. Man fährt an billig-bröckelnder 50er-Jahre-Avantgarde entlang, ringsherum Ramschläden für Möbel und Dekor, McDonald’s-Paläste, Gebrauchtwagenlager. Doch Ausdauer wird (manchmal) belohnt. Ich will ja der weit ausschwingenden Kette mit den aufgereihten Kostbarkeiten folgen, den Zierden namens Museum mich nähern, wo immer es im weiten Zirkelschlag um Nizza herum auch nur geht. Das kann die kleine »Chapelle St-Sauveur« in Le Cannet sein, deren Fassade nicht, wie es oft fälschlich heißt, Pierre Bonnard ausgeschmückt hat; vielmehr stammt das Mosaik an der Mauer über der Eingangspforte von dem gebürtigen Litauer Théo Tobiasse und datiert von 1989, was nichts daran ändert, daß Le Cannet traditionell der »Bonnard-Ort« ist. In jedem Fall muß es ganz unbedingt auch das »Musée Picasso« in Antibes sein, Schmuckstück par excellence, Höhepunkt eines Ausflugs. Das alte Schloß Grimaldi, in dem Picasso bis 1960 arbeitete, bevor er ins höher gelegene Mougins zog, hat seine Geschichte.
    Es ist keine wohlgefällige Geschichte. Denn Pablo Picasso, heute kaum mehr vorstellbar, war Ende der 1940er, Anfang der 1950er Jahre keineswegs so anerkannt, wie unsereins annimmt, hört man auch nur den Namen des Fürsten der Moderne. Nachdem ihm 1946 der Grimaldi-Kurator Teile des alten Schlosses als Atelier zur Verfügung gestellt hatte, bot der in Mougins lebende Maler 53 seiner Gemälde als Geschenk an – in der Hoffnung, in den Räumen würde ihm zu Ehren ein Museum eröffnet; im Jahr darauf noch 78 Keramikarbeiten und 1950 zwei große Skulpturen. Die zuständigen Provinzbehörden lehnten ab, auch, als der »Bittsteller« das jetzt hochberühmte Ölbild »Ulysse et les Sirènes« von 1947 noch hinzufügen wollte. Picasso, offenbar nicht »museumswürdig«, wurde abgewiesen wie weiland Rodin, der mehrfach versucht hatte, das damals »Hôtel de Biron« genannte und von ihm ebenfalls als Atelier genutzte kleine Palais im Herzen von Paris in ein eigenes Museum umzuwan-deln, jenes »Musée Rodin«, vor dem heute die Menschenschlangen stehen. Es ist kaum vorstellbar, daß noch kurz vor seinem Tod 1973 das Alterswerk Picassos von dem englischen Kritiker Douglas Cooper als »Schmierereien, ausgeführt von einem rasenden Greis im Vorzimmer des Todes« verunglimpft wurde.
    Nach langen Umbau-und Restaurierungsarbeiten hat das Picasso-Museum in Antibes seit Juli 2008 wieder geöffnet; seine Pforten zum Glück, möchte ich sagen. Es birgt nicht nur die wohl umfangreichste Sammlung jener Keramiken – Eulen, Teufelchen, Clowns-Masken und kokette Damen in Karaffenform; alles in frech einander widersprechendem Blau, Grün, Schwarz gegen Rot oder in Ocker ertrinkendem Gelb –, die von

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