Nizza - mon amour (German Edition)
oder auch 30 Minuten Wartezeit ohne Murren in Kauf genommen werden, man darf in einem Korbsessel Platz nehmen, einen Apéritif bestellen, es ist auch nicht verboten, wenngleich unüblich, vorher noch zu schwimmen. Ziemlich einmalig auf der Welt ist ein geradezu berauschendes Bild: Wer sich in den Wintermonaten Januar/Februar hinaus ins Meer traut, kann – auf dem Rücken schwimmend – die verschneiten Kämme der Alpes Maritimes erkennen; hurra – von den Skiern direkt in die Wellen …
Wem dieses graziöse Bild mit der Inschrift »Reserviert für die Reichen« allzu snobistisch erscheint, der muß wissen: In genau abgemessenem Wechsel liegt zwischen jeder dieser komfortablen Plages eine »Plage publique«. Dort kann, ob mit Klappstühlchen, Luftmatratze oder nur mit einem Handtuch ausgerüstet, jeder sich im selben Meer ergötzen, schwimmen, dösen, über die Steine humpeln und im Anblick der pünktlich aus dem Hafen von Nizza auslaufenden Autofähre nach Korsika sein Fernweh aufspannen. Aparterweise ist es die Plage Opéra, jener genau gegenüber dem Opernhaus geöffnete Strandabschnitt, der sich großer Beliebtheit erfreut, besonders bei jungen Leuten. Es stimmt, sie haben dort keinen Hummer. Sie haben sich. Wer weiß, ob sie glücklicher sein werden, eines Tages, wenn die Hummerscheren knacken – die Gelenke aber auch.
Das hört sich hochnäsig an. Und ist es auch. Denn es sitzen da nicht nur Oma und Opa, die sich ihrer Rente erfreuen, oder der blutjunge Kellner in der Mittagspause, der bald Chef de Cuisine sein wird. Da liegen auch die Sans Domiciles auf ihren verfummelten Decken, winters in Schlafsäcken, die Gestrandeten, die Ausgespieenen. Das Elend zwanzig Meter neben der Dorade grillée und der Pâté Foie Gras de Canard entier. »Die im Dunkeln sieht man nicht«, heißt es in Brechts »Dreigroschenoper«. Diese hier aber lagern auf ihren Lumpen keineswegs im Dunkeln, sondern im hellen Sonnenschein. Sehr viel mehr Helles bietet ihre Existenz nicht. Sie sind zu sehen.
Das Meer ist berauschend und reinigend zugleich, es schält die Verhärtungen des Menschen ab, als wüsche es die Seele rein. Legt es auch den Kern frei? Oder weckt es bloß Sentimentalität? Ich denke da manchmal ins Undenkbare hinein: Was wäre, wenn …
Was wäre, wenn alle Mr. Gettys und mexikanischen Platin-Könige, alle Ketchup-Ladies und ALDI -Brüder, die chinesische Milliardärin und der russische Fünf-Yachten-Besitzer, der beim Betanken seines Kreuzers mit 50000 Litern die Achseln zuckt, als kredenze man ihm ein Perrier – wenn all diese Magnaten zwanzig Prozent ihres Reichtums abgäben? Gewiß, es ist eine Platitüde: Reichtum ist schwer zu definieren, die Grenze schlecht zu ziehen. Da hilft auch die Anekdote nicht: Fragt der Musical-König Andrew Lloyd Webber den Hollywood-Regisseur Steven Spielberg, was der denn so pro Film verdiene; antwortet der Film-Mogul, er wisse es nicht so genau, so um die 150 Millionen Dollar. Entsetzt sich sein Gesprächspartner: »Was, so wenig? So viel Arbeit für so wenig Geld?«
Aber es gibt ja bei diesem peniblen Quiz auch Anschauungsunterricht. Der Ölscheich mit der goldenen Badewanne im Flugzeug oder sein armer Verwandter, der beim Staatsbesuch in London auf dem Flughafen Heathrow den schieren Fluglotsennotstand auslöste, als er mit 15 Jumbos landete – ein hübsches Häuschen, gar ein ruppiger Airbus bliebe ihnen doch für den Notfall? Die unfrisierten Gedanken sind in meinem Kopf, selbst wenn man mich ab jetzt » GG « frei nach Gregor Gysi taufte und des Rufs nach der »Reichensteuer« zeihe: All jene Forbes-Prinzessinnen und der Genosse Abramowitsch, die ca. 5 Millionen Dollar »Taschengeld« im Monat haben, die Bessergestellten sogar pro Tag, wären doch nicht bei 20 Prozent weniger in die nackte Not gestoßen? Aber wäre damit wirklich Millionen Armer, Elender, Verreckender, Hungernder auf der Welt geholfen? Geht meine Rechnung »1 Auster weniger = 4 Wochen Schule für ein Kind in Uganda« auf? Doch wenn schon ein Einzelner, Mr. Douglas Tompkins, mit »nur« 250 Millionen Dollar von dem Erlös aus dem Verkauf seiner Textilkette »Esprit« 900000 Hektar Land erwerben und diesen größten Privatbesitz der Welt (in Chile und Argentinien) urbar machen, renaturalisieren, mit mächtigen alten Bäumen bepflanzen, Schafweiden den Bauern übergeben, an der Küste See-Elefanten, Seelöwen oder Pinguine neu ansiedeln konnte, alles unter dem Motto »Ich will das Land nicht für mich. Wozu
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