Nizza - mon amour (German Edition)
mediterraner Formlust und Heiterkeit zeugen; es grüßt auch, sparsam gehängt resp. aufgestellt, mit Gemälden von besonders kraftvoller Phantasie, mit Skulpturen marmorner Fleischlichkeit. Dämon Eros: Des Genies Verfallenheit an das Weibliche, jenes ferne Rätsel wie nahe Objekt des Begehrens, hallt als lokkend-dräuender Ton aus dem Meer da unten durch die Räume.
Leider gibt es auch den Widerhall eines Ärgernisses. Das Museum ist nicht nur als Gebäude renoviert, sondern hat auch ein – höchst unglückliches – neues Konzept. In den unteren Räumen quält man sich an Belanglosigkeiten entlang, hier ein zweitklassiges Picabia-Porträt, da ein paar Blätter von Jacques Prévert, dort allerlei von Hans Hartung oder Antonio Saura, entsetzlicherweise auch eine der blauen Kitsch-Plastiken von Yves Klein; ich gehe doch nicht in ein Picasso-Museum, um an prominenter Stelle eine der gequetschten Scheußlichkeiten des Kunstgewerblers Arman zu sehen. Der Besucher muß sich erst durchkämpfen in den Himmel der Wunder, etwa der beiden Zementskulpturen Picassos aus den frühen 30er Jahren. Himmel sind es dann allemal – denn das Château thront direkt über dem Meer, in dessen Weite hineingeschnitten auf den Mauern die schlanken Silhouetten der Skulpturen von Germaine Richier. Sie sind noch von unten zu sehen, als trügen sie, balancierende große Vögel, die Wolken über diesem Augenparadies; es läuft nämlich eine kleine Straße zwischen der See und dem Schloßmuseum, die Promenade Admiral de Grasse, mit entzückend verschachtelten Bauklötzchenhäusern, zu Beginn das etwas imposantere Haus, in dem der Maler Nicolas de Staël bis zu seinem Tod 1955 gelebt hat. Hier atmet jene Stille, die einen immer wieder am Mittelmeer umfängt, zumal, wenn man das große Schweigen der Kunst noch in sich trägt – es kann getrost auch ein längerer Weg sein, wie jener unterhalb des Cap d’Antibes mit dem Märchenblick über die Bucht hinweg auf die Alpes Maritimes; wer es gleichtun will den zahlreichen Badenden von Picasso, findet hier die bei Kennern renommierte Plage Keller mit einem empfehlenswerten Restaurant. Nach einem Imbiß kann man den Ausflug gleichsam »rückwärts« aufrollen: Genau gegenüber vom Museum bietet – so »global« ist unsere Welt – die kleine polnische Galerie von Véronique Podgorny ihrerseits »Céramiques de Picasso« zum Verkauf, und wer seiner besseren Einsicht oder dem Warnsignal der überzogenen Kreditkarte gefolgt ist und nichts gekauft hat, kann unbeschwert zum legendären Yachthafen schlendern. Da findet er wieder Côte d’Azur pur, auch deren fröhliches Chaos. Der überfüllte Parkplatz verkündet in drei Sprachen »Plätze frei«, und zehn Meter neben den luxuriösesten Riesen-Yachten der Superreichen liegt ein Stapel verrotteter alter Gartenstühle. Der Eintritt ist frei – wenn auch nicht zu der Welt aus poliertem Mahagoni und Stainless Steel, die da schaukelt und gaukelt und deren schneeweißer Lack wetteifert mit dem Schnee, der auch im Sommer noch die Kuppen der Alpes Maritimes bedeckt. Der Gleichzeitigkeit von Müll und Macht (des Geldes) wird man allenthalben begegnen. Es ist kein weiter Weg (Richtung Juan-les-Pins) zu einem steinernen Zeugen: Der prachtvolle Palast des 1926 erbauten Luxushotels »Provençal«, einst Tummelplatz der Filmdiven und Tennis-Beaus, ist seit einigen Jahren (und noch 2008) eine verkommene, vernagelte Bauruine. An den vergammelten, schief hängenden Zäunen ein großes Schild, hier werde bis 2006 eine »Résidence« entstehen, mit vier Swimmingpools und zwei Privatpools für die Penthouse-Suiten. Vorläufig bietet sich nur der spektakuläre Blick auf das Esterel-Gebirge.
Ein jeder Mensch hat ja seine eigenen Aufnahmerituale. Es gibt die Unersättlichen – Freunde von mir, die in Paris leben, tun es nicht unter zwei Vernissagen am Tag, einem Museumsbesuch und abends, wenn möglich, noch in die Oper. Ich dagegen bin rasch kopfsatt. Nach zwei bis drei Louvre-Sälen, der »Frick Gallery« in New York oder »nur« den Goyas im »Prado« von Madrid bin ich nicht mehr aufnahmefähig (wie ich auch vor jeder Zugabe nach einem Konzert flüchte). Also wird nichts aus dem Plan, von Antibes weiter nach Vence, einer anderen »Kunstkette« zu folgen. Das wird nachgeholt. Picassos faunische Figuren-Zeremonie will erst einmal auf ihrem Platz in mir verharren. So folge ich lieber der Einladung eines Freundes zum Abendessen in Nizza. Nach der Augenlust die Gaumenlust;
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