Nizza - mon amour (German Edition)
auf, daß man unwillkürlich an eine andere Besonderheit Nizzas erinnert wird. Zur typischen Architektur der Stadt gehören – neben den malerischen Majolika-Verzierungen über den Fensterstürzen – Ecktürme, die hoch oben über den Dächern mit ihren bunt-lasierten Dachpfannen zu schweben scheinen: Da schwimmen farbig geschuppte, mächtig bauchige Fische in den Himmel hinein. Sie küssen die Wolken, balancieren sie auf ihren Dachspitzenmäulern – und müssen sie entschweben lassen in den perlmuttfarbenen Horizont. Doch die richtigen Fische werden mit Öl, Zitrone, Kräutern und vielen anderen Beilagen im Ganzen gegrillt. Gekocht wird vor allem die berühmte Bouillabaisse. In Nizza bekommt man die beste dieser Wundersuppen aus Meerwasser, Rascasse, Olivenöl und vielerlei Gewürz-und Gemüsezutaten; im Hafenrestaurant »Les Pêcheurs« die teure Version – nicht ganz stilecht – mit Langusten. Wer Glück hat, findet dazu auf der Weinkarte einen weißen »Bellet« – dieser leichte, ein wenig nussig schmeckende Wein von einem Hügel oberhalb der Stadt wird rar; nur wenige Weinberge behaupten sich gegen die zunehmende Urbanisierung. Ob nun die Pissaladiera – ein Zwiebelkuchen mit Anchovispüree und schwarzen Oliven – oder eine »Tourta de Blea« – eine ganz flache Blettes-Torte: Es ist nicht einfach, mit den Restaurants zu wetteifern und sich der Mühsal heimischer Zubereitung zu unterziehen.
Zumal in Südfrankreich auch beim Einkaufen die Uhren anders gehen – »Wie waren die Ferien?« – »Was macht das Enkelkind?« – »Von wem sie wohl schwanger ist, die niedliche Nachbarstochter?« – für ein Schwätzchen ist allemal Zeit, während die appetitliche »Cœur-de-Bœuf«-Tomate befingert, der saftigste Pfirsich ausgesucht, vom Tintenfisch 300 Gramm, nein, lieber 50 Gramm mehr gewünscht werden. »Et avec ça?« – »Und außerdem?« – lautet das Libretto zu dem kleinen Ballett. »Et avec ça?« kann auch zu noch ganz anderer Nahrung führen; denn jeden ersten Samstag im Monat bieten neben dem Cours-Saleya-Markt unweit der Früchte-, Fleisch-und Fischstände direkt vor dem Palais de Justice Antiquare ihre gebrauchten Bücher feil, ein skurriles Nebeneinander. Da darf man also nicht nur jene gerillten Tomaten befingern, sondern auch mit bald staubigen Fingern in manchmal wundersamen Schätzen der Buchdruckkunst (und manchmal auch Scharteken) blättern: etwa der 15bändigen Dumas-Erstausgabe. Mein Lieblingsstand ist einer, der ausschließlich Bücher von und über Céline präsentiert, in allen erdenklichen Formaten und Editionen. Die besondere Zierde dieses Liebhabertempels ist ein Stehpult, angeblich das, an dem Céline arbeitete – aber wer will das schon so genau wissen. Die eine rote Rose im Glas ist Geste genug, der Bouquinist verehrt und lockt. Gewiß, nur selten schleppt man neben Spargel, Zickleinbraten und Fenchel auch in Ziegenleder Handgebundenes mit nach Haus.
Sollen abends Gäste bewirtet werden, hat man gut und gerne drei und mehr Stunden mit Einkaufen zu tun, vom späteren Zubereiten der mit gehackten Kräutern und Krabben umlegten Queue de Lotte ganz zu schweigen. Da ist dann die Überraschung mit dem reservierten Tisch im mir bis dato unbekannten Restaurant »La Réserve« einfacher, entspannender und – sehr gelungen. Dieser an der Hafenausfahrt (oder -einfahrt) errichtete Lukullus-Tempel nennt sich selber »un lieu mythique« und datiert sein Entstehen »aux débuts tourisme hivernal«, was ungefähr Ende des 19. Jahrhunderts bedeutet, als man sich noch nicht im Hochsommer den nackten Rücken in der sengenden Sonne eincremte, sondern das Licht und das milde Klima der Riviera im Winter bevorzugte. 1862 war es noch ein auf den felsigen Klippen gezimmerter Holzpavillon, in dem die Händler frisch Gefangenes zum Probieren anboten. Erst 1875 soll das erste »Belvedere« als Hotel-Restaurant entstanden sein, ein kühnes italienisches Architektur-Ensemble aus Zement mit Rotunden, Casino, Meeresschwimmbad und – unerhörte Neuheit – einem kleinen Strandabschnitt für wagemutige Schwimmer. Ein wunderschönes altes Foto zeigt das Restaurant mit Pavillon und daneben einen heute abgetragenen Felsen, auf dem – lockende Werbung – ein großes Fischerboot thront. Seit 2007 ist es um-und ausgebaut und restauriert und wird ins 21. Jahrhundert geführt von – einem Finnen! Jouni Tormanen empfängt seine Gäste in kühlem, hellem, modernem Dekor auf zwei Etagen (die 2. Etage ist die
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