Nizza - mon amour (German Edition)
Tatsächlich muß man staunend feststellen, wie nahezu jeder Ort – ob ein kleines Dorf, ein Marktflecken oder auch Nizza selbst – mit mal unscheinbar trauervollen Tafeln, mal auch etwas triumphal-martialischen Monumenten der Toten des Ersten Weltkriegs gedenkt; denn es waren Hunderttausende, die in Verdun oder an der Somme verreckten, während die rasche Kapitulation 1940 nur einen »drôle de guerre« beendete und daher das andere, das »Tué le 6 juin 1940« nur seltener zu finden ist.
Der Kritiker Tilman Krause, seine prägenden Studienjahre hat er in Paris verbracht, beschrieb das in einem WELT -Artikel treffend: »Einer der großen Unterschiede zwischen Deutschland und Frankreich, der sich sofort bemerkbar macht, wenn man tiefer ins Gespräch eindringt, ist die unterschiedliche Bewertung des Ersten Weltkriegs. Bei uns ist die Erinnerung an ihn doch arg verblasst. […] Aber ›la grande guerre – der große Krieg‹, wie er noch oft ganz ungeniert genannt wird, der bleibt in Frankreich in aller Munde. Unzählige Familientreffen erinnert jeder, bei denen irgendwann die genervte Hausfrau ihren Vater, Gatten, Bruder ungeduldig beschwor: ›Tu ne vas pas encore raconter ta guerre – hör auf, uns schon wieder mit deinen Kriegserinnerungen zu behelligen!‹ Denn das taten sie, die Helden von 1914 bis 1918, die ihr Lebtag nicht hinweggekommen sind über diese ›Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts‹, in der ja nicht nur das lange 19. Jahrhundert unterging, sondern auch die Idee von einer humanistischen, fortschrittlichen Gesellschaft.«
Ein wenig schämt man sich seines deutschen Akzents da oben im Mimosenwald, wenn man in der benachbarten Gärtnerei – seit Jahren schwänzelt der alte Hund herbei und begrüßt der nur wenig jüngere Pflanzenpfleger den Fremden – den üppigen Strauß für die heimische Terrasse kauft. Doch versöhnlich klappert das Wortballett: »Bonjour, Monsieur« – »Bonjour, Monsieur« – »Ça va, Monsieur?« – »Ça va, Monsieur, merci« – »Merci, Monsieur« – »Merci, Monsieur« – »Au revoir, Monsieur« – »Au revoir, Monsieur – et à la prochaine«.
Von dieser Einöd-Pracht ist es dann, nimmt man die Autoroute, eine knappe Dreiviertelstunde Fahrt zum öden Prunk: Monte Carlo. »Wir leben in Monte«, sagen die schicken Leute. Es ist die perfekteste Kunstwelt, die ich kenne. Bereits am Grenzübergang zu dem Staat – Monaco zählt 33000 Einwohner, Monegassen genannt – steht unvermeidlich, bei Tag und bei Nacht, ein Polizist in schmucker Uniform mit weißen Handschuhen; niemand weiß, wozu – ein Symbol. Aber für was? Für die Wacht über das Geld?
Denn von den phallus-gierig emporgereckten Wolkenkratzern dieses glitzernden Mini-Staates scheint ein leises Läuten goldener Glocken zu ertönen, in diese Musik der Geldkathedralen mischt sich das Rauschen des Meeres, doch es klingt wie ein Choral »Fiskus, erlöse uns« hinauf zu den in ihren luxuriösen Wohntürmen Eingesperrten. Sie singen »Mammon, du Herr der Welt, gepriesen sei dein Name«, und Hostie reimt sich hier auf Aktie.
Unvergeßlich des armen BB Gedicht vom gefallenen Soldaten »Und man konnte, wenn man keinen Helm aufhatte, die Sterne der Heimat sehen«. Helme – es sei denn, man wolle ihre Frisuren so nennen – haben die Damen in »Monte« eher nicht. Aber ihre den Neid von Queen Elizabeth erregenden Hüte lassen einen Blick auf die Sterne ebenfalls nicht zu; was auch unnötig ist – sie tragen ja reichlich Sterne am Hals und am Handgelenk. Furchtlos, weil gut bewacht; Polizisten an jeder Ecke. Der Staat ist klein, groß sind die Konten, die Brillanten, die Hochhäuser, die Rolls-Royce- und Maybach-Limousinen. Die durchaus zu Spott aufgelegten Monegassen sagen: »Man steigt in Monte Carlo hinten in eine Stretch-Limousine ein – und steigt man vorne wieder aus, ist man in Frankreich.« Steigt man aber nicht wieder aus, so bieten die teilweise mit rotem Marmor getäfelten Tiefgaragen reichlich Platz, jede Parklücke ist doppelt so lang und breit wie in den Parkhäusern Nizzas. Die Nationalhymne des Operettenstaates wird gleichsam charakteristisch von einer Filmdiva gehaucht: Marilyn Monroe mit ihrem »Diamonds Are a Girl’s Best Friend«. Die »Girls« sind etwas in die Jahre gekommen, doch sie hatten einst spendable Gönner, die ihnen reichlich »Best Friends« hinterließen. Nun wohnen sie in immer neu einer Felskante von Preßlufthämmern abgetrotzten Türmen, großenteils so häßlich, daß
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