Nizza - mon amour (German Edition)
Schriftstellerkollegen.
Auch hier möge wieder ein kleiner Exkurs erlaubt sein. Denn neben derlei Sottisen gab es auch Freundeszuneigung, verehrende Hilfe. Gustave Caillebotte – selber Maler von Graden, dessen Bilder heute in vielen Museen hängen – muß erwähnt werden: reicher Erbe und erfolgreicher Bootsbauer. Er war es, der dem Spott gegensteuerte und früh die Kunst seiner vom Markt noch gemiedenen Freunde Monet und Manet, Degas und Cézanne, Pissarro und eben Renoir kaufte. Als er 1894 mit nur 45 Jahren starb, hinterließ er eine Sammlung von 70 Bildern – vor vielen von ihnen stauen sich heute die Besuchermassen im Musée d’Orsay, darunter vor Manets berühmtem Balkonbild. Eines der Seerosenbilder von Monet – die Pariser Museen hatten bis zu Caillebottes Tod kein einziges impressionistisches Gemälde erworben – wurde im Sommer 2008 für 80 Millionen Dollar versteigert, das achtteuerste Bild der Welt zu jenem Datum. Renoir ist längst ein König der modernen Malerei, doch tief berührt stehe ich dann vor dem Rollstuhl, an den der alte Künstler durch eine rheumatische Arthritis gefesselt war. An die verkrüppelten Hände ließ er sich Holzlatten schnallen und an deren Enden den Pinsel befestigen: Die Arbeit war sein Leben, er malte sich in den Tod hinein. Er wollte keinen »behaglichen Lebensabend« – den der Hochberühmte und Hochbezahlte, inzwischen weltweit anerkannt als Begründer des Impressionismus, sich mühelos hätte gönnen können. Aber »mühelos« ist kein Adjektiv, das Künstler kennen. So schleicht man nachdenklich aus dem Haus eines Großen, selber ein Kleiner, aber alt nun auch, und immer öfter die Ermahnung Gutmeinender im Ohr: »Hör doch auf, du hast so viel gearbeitet in deinem Leben, warum willst du denn nun noch einmal ein Buch (nämlich über Nizza) schreiben; oder willst du mit deiner Schreiberei die Welt verändern?« Sie haben recht, indem sie unrecht haben – dieser, Renoir, hat die Welt verändert: durch Schönheit. Wie vor ihm Leonardo und nach ihm Rothko (der genau wußte, warum er sich nach dem Mexikaner Orozco diesen Namen gab).
Nun aber zurück nach Nizza. Schließlich ist die Stadt ihr eigenes Freilichtmuseum, öffnet dem Bummelnden immer neue Perspektiven. Die Stadtplaner haben da etwas ganz Besonderes geschaffen. So schwingen sich die großen Boulevards – wie der Boulevard Victor Hugo – oder die langen Avenuen nie ganz schnurgerade, sondern in eleganten Wellenlinien durch das Häusermeer, und sie führen immer auf einen kleinen oder größeren Platz, mal sind es nur baumumstandene Schaukeln und Wippen für die Kinder, mal regelrechte, gepflegte Parkanlagen: Zur Place Wilson (wo das höchst angenehme Restaurant »Les Épicuriens« einlädt) führt die Rue Gubernatis, gleich um die Ecke das kleine Geschäft »La Maison des Plantes«, ein »Herboristes«-Laden für allerlei Kräuter, mit Jugendstilkeramiken geschmückt, die jedes Sammlerherz höher schlagen lassen; drei Buchhandlungen in je 150 Meter Abstand, ein skurriles Antiquariat mit Büchern über die Sahara und Algerien, denn es ist spezialisiert auf die »Légion Étrangère«, und zwei Kioske, die absolut keinerlei ausländische Zeitungen feilbieten. Wir sind im Herzen Südfrankreichs, hier oder am »Square d’Alsace-Lorraine« mit seinen reputierlichen Bürgerhäusern ringsum ist alles beschaulich, schmuck, abgeschieden. Wohlhabend auch gelegentlich wie »La Place Mozart« mit den imposanten Wohnhäusern, die den Platz umgeben. Hier Vorgärten mit Zitronenbäumen, dort Balkone vollgewuchtet mit Bougainvilien, da Dachterrassen mit Kakteen und Palmen, die Straßen ohnehin gesäumt von Platanen und Oleanderbüschen. Gewöhnt an das prasselnde Knacken der Eicheln unter den Schuhsohlen oder die sich aus pikender Hülle schälenden Kastanien, bestaunt der deutsche Gast im Herbst die goldfarbenen Wedel der Palmenfrüchte, und statt Chrysanthemen prunken die weiß ragenden Glocken der Agavenblüten. Nur selten stört die Neuzeit mit einer Auslage von Brillen im Porsche-Design oder einem überstilisierten Blumengeschäft, in dem in schwarzen Glasvasen geköpfte weiße Lilien ihrem Blütendasein nachweinen.
Spaziergänge durch Nizza – das ist Lust zum Anfassen: ein perfekt ziseliertes Gitter, ein drei Meter hoher Rosenstrauch oder die Produkte eines »Chocolatier«. Aber ich gehe nicht nur, ich fahre ja auch spazieren. Und das heißt, immer wieder in die so staunenswert abwechslungsreiche Umgebung, ins
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