Nizza - mon amour (German Edition)
unseres Teppichs hin und her. Der Großvater der schon erwähnten Romanautorin Olmi – der alte Herr pflegte die Tafel würdevoll mit einem »La séance est levée« zu beenden – war Bürgermeister von Villefranche, wo er Cocteau den Auftrag gab, die Kirche auszumalen. Und es war Apollinaire, der Picasso mit dem Dichter Blaise Cendrars bekannt machte, dessen Band »J’ai tué« Léger illustrierte. Und es war Maupassant, der schon im Winter 1884/85 an der Côte d’Azur seinen Roman »Bel Ami« verfaßte, Weihnachten 1885 Antibes für sich entdeckte (wo er von einem alten Marineoffizier namens Maurice Muterse die Villa »Le Bosquet« mietete) und schließlich immer wieder Nizza (und dort seine Mutter) besuchte. Von hier aus segelte er mit seinem legendären Boot »Bel Ami« die französische Küste entlang. Und wie hieß doch die Adresse der »Villa des Ravenelles«, in der Maupassant die kranke Mutter, die ihn zehn Jahre überlebte, oft drei Mal wöchentlich sah? 14, Rue Renoir. Ein Kreis schließt sich, oder – um im Bild zu bleiben – die Fäden des Teppichs verknüpfen sich. Denn wenn ich vom Märchengarten der »Fondation Maeght« erzählte, dann ist hier ein neuer, gar silberner Faden unseres Teppichs herauszuziehen.
Es ist nämlich gar nicht weit zum Garten eines anderen großen Künstlers, zum Renoir-Museum in Cagnes-sur-Mer. Wer Muße mitbringt, sollte sich vorher einen Bummel durch das kleine Haut-de-Cagnes nicht versagen, durch die verwinkelten Gassen, über den Schloßplatz mit seinen ländlichen Restaurants und kleinen Hotels; Damen mit Pfennigabsätzen kann dieser Bummel nicht empfohlen werden, denn das holprige Steinparkett des ganz und gar un-schicken Ortes wäre zu riskant. Selbst hier gibt es Erinnerungstafeln an einigen Häusern – mal an einen dänischen Chansonsänger, mal an den großen ungarischen Lyriker Attila József, der den Sommer 1927 hier verbrachte. Es verkehrt sogar, wie praktisch, ein »Navette« – ein Shuttle-Bus – nach Cagnes. Dort kann, wer will, eine kleine Stippvisite im »Château-Musée Grimaldi« machen, immerhin hängt ein Gemälde von Tamara de Lempicka in den alten Gemäuern, und die »Exposition Hommage à Suzy Solidor« bezeugt eine weitere so liebenswerte französische Besonderheit: Man vergißt nicht, wen man einst verehrte – auch wenn es keine Berühmtheiten wie Edith Piaf oder Yves Montand sind, sondern beispielsweise die Kabarett-Chansonsängerin Suzy Solidor. Jeden Samstagvormittag pünktlich um 11 Uhr sendet France Musique mit dem inzwischen sehr populären »Étonnez-moi, Benoît«-Programm alte Aufnahmen dieser mal frivolen, mal halbfolkloristischen, mal kessen alten Chansons zu meinem Entzücken; und zu meinem Bedauern, wenn ich daran denke, wie völlig vergessen die wundervollen Chansons von Friedrich Holländer bei uns sind, die kecke Blandine Ebinger oder die aggressive Rosa Valetti – alle in den Orkus des »Kenn ich nich« verdammt, die patzige Kate Kühl und die schnippische Grethe Weiser, selbst Gründgens und Marlene: Wo kann man sie heute mit ihren frechen Liedern hören? Wenn sie Pech hat, kriegt die Knef ein Ehrengrab – eine Neuproduktion ihrer Tucholsky-Platte kriegt sie nicht. In Frankreich dudeln sogar im »Bon Marché«, also im Supermarkt, die Stimmen von Charles Aznavour und Fernandel oder der Gréco.
Durchatmen und voran zur großen Kunst, zum 1907 erbauten Haus von Pierre-Auguste Renoir, das er bis zu seinem Tod am 3. Dezember 1919 im Winter bewohnte (sommers lebte er in Essoyes, dem Geburtshaus seiner Frau Aline in der Champagne). »Les Collettes« taufte er das für heutige Begriffe bescheidene Haus. Ähnlich seinem Freund Monet, der seinen durch zahlreiche Seerosenbilder berühmt gewordenen Garten in Giverny bei Paris abgöttisch liebte, kultivierte auch Renoir das parkartige Anwesen mit seiner Orangenbaumterrasse in die Wellen der Landschaft hinein, mit einem prachtvollen Hain voller Olivenbäume, die mit ihren verdrehten schwarzen Stämmen um das Haus zu tanzen scheinen. Hier waren Rodin, Bonnard, Matisse und Modigliani zu Gast, hier standen die jungen Bauernmädchen aus Cagnes-sur-Mer Modell; schon manchen Zeitgenossen waren seine pastos hingetuschten Figuren mit dem lichten Rosenschimmer auf der Haut oder die marzipanhäutigen Kinderporträts allzu lieblich. »Er soll aufhören zu malen, er kann es eben nicht«, soll Cézanne gesagt haben. Wie man sieht, gibt es Schnippischkeiten nicht nur unter
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