Noah & Echo - Liebe kennt keine Grenzen
Ich bekam einen Kloß im Hals. So sah mich also meine beste Freundin? Als einen Feigling? »Ja, daran habe ich schon mal gedacht.« Ich musste kurz innehalten, weil meine Stimme zitterte. »Aber je mehr ich von mir zeigte, umso mehr haben alle über mich geredet. Weißt du noch, der Versuch mit dem Tanzteam letztes Jahr? Die Leute reden nun mal über das, was sie sehen.«
Sie senkte den Kopf. »Ja, ich weiß.«
»Warum?«, fragte ich sie. »Warum kommst du auf einmal jetzt damit?«
»Weil du es doch selbst willst, Echo. Du bist heute Mittag in die Cafeteria mitgekommen. Du redest mit den anderen. Das ist das erste Mal seit der Zehnten, dass du wirklich einen Versuch machst, und ich habe einfach wahnsinnige Angst, dass du dich wieder in dein Schneckenhaus verkriechst.« Sie drehte sich mit einer beinahe heftigen Bewegung zu mir her. »Bitte lass dich jetzt von dieser Noah-Sache nicht einschüchtern. Komm morgen Abend mit zu Michael Blairs Party.«
War sie jetzt völlig übergeschnappt? »Niemals.«
»Bitte«, bettelte sie. »Morgen ist dein Geburtstag. Da müssen wir doch ausgehen.«
»Nein.« Am liebsten hätte ich das mit dem Geburtstag komplett vergessen. Mom und Aires hatten sich immer richtig ins Zeug gelegt, um meinen Geburtstag zu feiern. Aber ohne die beiden …
Sie verschränkte die Finger unterm Kinn. »Bitte, bitte, bitte! Mir zuliebe, dieses eine Mal, und ich verspreche dir, wenn es schiefgeht, komme ich dir nie wieder mit so was. Und übrigens habe ich gehört, wie Ashley deinem Dad vorschlug, zusammen essen zu gehen. In irgendein Restaurant. So was Schickes, mit fünf Gängen. Ein winziges kleines Ja, und du bist gerettet.«
Die Vorstellung, mit Dad und Ashley auch noch auswärts essen gehen zu müssen, war unerträglich. Ich holte tief Luft. Lila hatte die ganze Zeit zu mir gehalten: während der Krankheit meiner Mutter, während der Scheidung meiner Eltern, als Aires starb, und jetzt. Sie ahnte es noch nicht, aber sie war drauf und dran, gleich
ihr
Geburtstagsgeschenk zu bekommen. »Na gut.«
Sie johlte vor Freude und klatschte in die Hände. In einem einzigen Endlossatz beschrieb sie, wie sie sich den morgigen Abend vorstellte. Vielleicht hatten Lila und Grace ja recht. Vielleicht konnte mein Leben wieder normal werden. Ich könnte meine Narben verstecken und auf Partys gehen und mich dabei einfach ein wenig im Hintergrund halten. Noah hatte niemandem etwas erzählt und vielleicht würde er das auch nicht.
Außerdem waren es nur noch vier Monate bis zum Abschluss, und danach konnte ich ungestört für den Rest meines Lebens jeden Tag Handschuhe tragen.
[zurück]
Noah
Achtundzwanzig quälende Tage waren vergangen, seit ich dieses triste Zimmer im Gebäude des Jugendamts zuletzt betreten hatte. Die aufgemalten Clowns und Elefanten an den Wänden sollten wohl eine fröhliche Atmosphäre schaffen, aber je länger ich sie anstarrte, umso düsterer wirkten sie auf mich. Ich saß auf einem kalten Klappstuhl, nervös bis zum Gehtnichtmehr, und hielt die zwei verpackten Geschenke fest. Das war also aus unserer Familie geworden. Früher hatten meine kleinen Brüder ständig an meinem Rockzipfel gehangen, hatten mich vergöttert, und jetzt war ich nicht sicher, ob Tyler überhaupt unseren Familiennamen noch kannte.
Ich kam mir vor wie ein Schachtelmännchen, das nur darauf wartete, in die Höhe zu schnellen, sobald der Deckel aufging. Wenn jetzt nicht bald diese Betreuerin mit meinen Brüdern kam, explodierte ich noch. Aus irgendeinem Grund fiel mir Echo und ihr wippender Fuß wieder ein. Die stand vermutlich noch viel mehr unter Strom als ich.
Die Stimme meiner Mutter erklang in meinem Kopf. »Du solltest immer vorzeigbar aussehen. Man muss sich immer von seiner besten Seite zeigen.«
Ich hatte mich rasiert, was ich normalerweise nicht täglich machte. Meine Eltern hätten über meinen Haarschnitt und Dreitagebart geschimpft. Meiner Mutter zuliebe ließ ich mir die Haare seitlich nicht über die Ohren wachsen, aber die Fransen ließ ich ein wenig länger, aus purem Selbstschutz, damit mir nicht jeder gleich in die Augen schauen konnte.
Die Tür ging auf, und ich stand automatisch auf, immer noch mit den Geschenken in der Hand. Jacob kam hereingestürmt und warf sich mit voller Wucht gegen mich. Er reichte mir inzwischen schon bis zum Bauch. Ich warf die Geschenke auf den Tisch, ging in die Hocke und schlang die Arme um ihn. Ich musste schlucken. Mann, wie groß er geworden war.
Meine
Weitere Kostenlose Bücher