Noch einmal leben
Cushing.“
„Oh, der Name ist mir bekannt. Claude hat sie mir einmal beschrieben. Ein einmaliges, wunderbares Mädchen, sagte er, mit … äh …“ Er lachte verschwörerisch. „Mit einer tollen Figur. Ist sie tot?“
„Sie kam letzten Sommer in St. Moritz bei einem Ski-Unfall ums Leben. Claude war damals mit ihr zusammen. Und jetzt möchte Tandy gerne wissen, wie es dazu kommen konnte.“
„Aber in der Zwischenzeit ist Claude doch selbst ums Leben gekommen“, sinnierte Jacques. „Sie ist eben ein Jammertal, diese Welt, auch heute noch. Überall lauem Gefahren auf die Jungen, die Starken, die Reichen. Nur die Armen werden alt.“
„Dafür leben sie auch nur einmal“, warf Risa ein.
„Wie wahr, wie wahr.“ Jacques verschränkte die Finger ineinander. „Nach dem Lunch will ich versuchen, Claudes Bewußtsein für dich zu finden“, sagte er.
Sie nahmen ein exorbitantes Lunch zu sich. Zum Hauptgang hatte Risa Seezunge auf Mousse und Gemüse, das ihr unbekannt vorkam und in einer Sauce schmorte, die von der Venus stammen mußte. Der Wein, der so reichlich bei diesem Mahl floß, war dagegen eindeutig irdischen Ursprungs: ein kräftiger Chablis, der etwa vier Jahre alt war. Ältere Herrschaften, die unter dem Balkon vorbeiflanierten, hielten inne, sahen zu den beiden hinauf und spekulierten in Gedanken darüber, wer die junge Dame wohl sein mochte, die da mit Pierre Schiffs Sohn lunchte, dieses blasse Mädchen in dem gewagten Sprayon-Kostüm. Ob einer von ihnen begriff, daß man eher über Mark Kaufmanns Tochter Spekulationen anstellen sollte als über Jacques Schiff? Risa genoß ihre Anonymität sehr.
Als das Mahl beendet war, schlug der Cousin vor, in sein Büro zu gehen, um dort die nötigen Telefonate zu führen. Risa dagegen deutete auf das nahegelegene Hotel.
„Mein Hotelzimmer ist nicht so weit weg“, sagte sie.
Einen Moment lang sah er sie verblüfft an, aber nur einen Moment. Auf seinen Einwand hin betraten sie das Hotel jedoch durch verschiedene Eingänge. Risa ließ ihr Zimmer unverschlossen, und kurze Zeit später schlüpfte er zu ihr herein. Der große, tiefe Raum war dunkel. Jacques holte eine Cäsium-betriebene MHD-Stehlampe und stellte sie auf einen reich verzierten Beistelltisch. Danach rückte er einen Stuhl zu dem altmodischen Telefon heran und wählte eine bestimmte Nummer.
„Es wird wohl eine Weile dauern“, sagte er.
Risa ging so lange ins Badezimmer, entkleidete sich und stieg unter die Dusche. Als sie sich wieder rundum sauber fühlte, wickelte sie sich in ein hauchdünnes, graues Tuch und kehrte ins eigentliche Zimmer zurück. Jacques saß noch immer am Telefon und machte sich Notizen. Schließlich grunzte er befriedigt und hängte ein.
„Glück gehabt?“ fragte sie.
Er drehte sich zu ihr um. Der Cousin zog die Stirn in Falten, als seine Augen den quasi-nichtvorhandenen Schleier durchbohrten, um die interessanten Stellen ihres Körpers zu begutachten. „Ja“, sagte er gedankenverloren. „Ich habe alles herausbekommen. Claudes Bewußtsein wurde an Martin St. John verpflanzt, und zwar vor einigen Monaten. St. John wohnt in London.“
„Den kenne ich nicht.“
„Er ist der dritte Sohn von Lord Godwin. Hier ist seine Adresse. Ich habe sein Photo angefordert, und selbst wenn es lange dauert, müßte es in kurzer Zeit hier sein.“
„Ich bin dir sehr dankbar, Jacques. Du hast mir einen großen Gefallen getan.“
„Ich bitte dich, das war doch nicht der Rede wert“, gab er zurück.
Allerdings schien er willens zu sein, sich von ihr auf eine ihm genehme Weise belohnen zu lassen. Sein Körper war durchtrainiert, schlank und in solchen Dingen geübt. Es war das erste Mal seit der Transplantation von Tandy Cushing, daß Risa mit jemandem schlief. Als sie in Jacques’ Arme glitt, spürte sie plötzlich wie einen Stich die Verlegenheit in sich aufsteigen. Denn ihr kam dieses zärtliche Beisammensein irgendwie unglaublich öffentlich vor. Schließlich konnte Tandy durch ihre Augen alles mitverfolgen. Risa war dieses Gefühl der Gehemmtheit völlig unvertraut. Einen Moment später begriff sie, daß nicht eigentlich die fehlende Intimsphäre sie so sehr störte, sondern sie fühlte sich von der viel erfahreneren Tandy beobachtet, die wie eine Richterin über Risa Kaufmanns sexuelles Verhalten zu Gericht saß. Risa merkte, daß sie immer gehemmter wurde.
- Lockerer, Mädchen, sagte Tandy. Stellst du dich immer so an?
Risa spürte, wie eine Woge der Ermutigung sie von
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