Noch einmal leben
Hm, ja, natürlich.“ Roditis zog krampfhaft den Bauch ein, so sehr schmerzte ihn die Erwähnung des Namens seines Feindes. „Das wird er bestimmt. Dieser Mark Kaufmann ist für seine Großzügigkeit bekannt.“
„Die ganze Familie ist dafür bekannt“, sagte der Guru.
„Natürlich, ganz sicher. Sie alle wissen um die Bürde ihres Reichtums, die sie verpflichtet, sich der Gesellschaft, der sie so viel zu verdanken haben, erkenntlich zu zeigen. Und genau so handele ich auch“, sagte Roditis nach einer kurzen Pause. „Genau so denke ich auch.“ Noyes verzog unbehaglich das Gesicht. Roditis trat Kieselsteine mit der Fußspitze fort. Ein reicher Mann muß nicht subtil vorgehen, sagte er sich, außer das Gegenteil zahlte sich aus.
Der Guru führte sie durch das ganze Kloster. Er zeigte Roditis und Noyes seltene tibetanische Manuskripte, Gebetsmühlen und andere wertvolle Kultgegenstände. Sie besuchten junge Lamas in ihren Zellen. Sie erhielten einige Ausgaben der klostereigenen Publikationsschriften (der unermüdlich emsige theologische Unterbau des modernen materialistischen Kults der Wiedergeburt). Noyes wurde immer zappeliger, aber Roditis folgte dem Guru ruhig überall hin, stellte Fragen, nickte in angemessener Häufigkeit zur Antwort und war ganz Konzentration und Geduld. Die Schatten wurden länger, die Dämmerung kroch über den Kontinent. Der Guru machte keine Anstalten, um eine Spende zu bitten. Roditis bot auch keine an. Endlich kehrten sie in das Büro des Gurus zurück, um sich zu verabschieden.
„Mögen alle Wünsche Ihres Herzens in Erfüllung gehen“, sagte der Lama. „Ich nehme mir die Freiheit zu vermuten, daß ein Mann in Ihrer Position noch ein paar unerfüllte Wünsche hat?“
Roditis lachte. „Eine ganze Menge.“
„Ich hege keinen Zweifel, daß einige von ihnen bald in Erfüllung gehen.“
„Das ist nett von Ihnen“, sagte Roditis. „Ich möchte Ihnen für die geopferte Zeit danken. Der Besuch war faszinierend.“
„Das Vergnügen lag ganz auf unserer Seite“, sagte der Guru.
Ein junger Lama mit asketischen Zügen brachte sie zu dem Raum, in dem ihre weltlichen Kleider lagen. Sie zogen sich um und verließen schweigend das Kloster. Noyes schien starke Kopfschmerzen zu haben. Wahrscheinlich hämmerte der gute alte Jim Kravchenko wieder in seinem Schädel herum.
Sie stiegen in den Wagen.
Roditis sagte: „Morgen früh überweist du ihnen eine Million auf ihr Konto.“
„So viel?“
„Kaufmann hat ihnen auch eine Million gegeben – und später noch mehr, nicht wahr? Kann ich es mir leisten, weniger zu geben?“
„Du bist nicht Kaufmann“, erinnerte ihn Noyes.
„Noch nicht“, sagte Roditis.
2
Risa Kaufmann war sechzehn Jahre alt – und damit alt genug für die erste Bewußtseinstransplantation. Was den Scheffing-Prozeß anging, war sie schon drei Monate vorher, im Januar, volljährig geworden. Aber zu jener Zeit war der alte Paul gestorben, und es wäre schlechter Stil gewesen, hätte sie damals schon den Wunsch nach einer Transplantation vorgebracht. Jetzt begann sich die Lage zu normalisieren. Die schwarzen Armbinden waren wieder in den Schubladen verschwunden, und die Rabbis belästigten die Kaufmanns nicht mehr mit ihren Besuchen. Das Familienleben verlief wieder in den gewohnten Bahnen. Die Zeit, um über eine Transplantation zu sprechen, lag unmittelbar in der Luft. Jedermann in der Familie machte sich Sorgen darüber, wer das Bewußtsein des alten Paul erhalten würde. Vor Risa wurde über das Thema selten gesprochen, weil man sie immer noch als Kind ansah. Aber Risa wußte genau Bescheid. Ihr Vater bebte innerlich vor Furcht, daß John Roditis Pauls Bewußtsein bekommen würde. Das wäre vielleicht ein Hammer, dachte Risa. Aber es würde ihnen allen nur recht geschehen, weil sie immer so unverschämt zu dem kleinen Griechen gewesen waren. Andererseits wußte Risa, daß ihr Vater mit allen Mitteln kämpfen würde, um Paul Kaufmanns Bewußtsein von Roditis’ Gehirn fernzuhalten.
Sie kicherte über die Vorstellung. Sie öffnete eine Öse an der Schulter und ließ ihr Gewand zu Boden fallen. Nackt trat sie auf die Terrasse des Apartments hinaus.
Dreihundert Meter unter ihr brodelte und wimmelte der Straßenverkehr. Aber hier oben, im fünfundneunzigsten Stockwerk, war davon nichts mehr zu hören. Die Aprilluft war kühl, frisch und rein. Die schräg einfallenden Sonnenstrahlen des Vormittags blitzen überall auf ihrem Körper. Sie streckte sich,
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