Nocturne City 01 - Schattenwoelfe
mächtig Lust bekam, eine kräftige Linke in sein kleines, arrogantes Gesicht zu versenken.
„Ja …“, sagte er abwesend und eilte an mir vorbei zu seinem Büro.
„Hoffentlich hab ich Sie jetzt nicht mit irgendwas angesteckt, Sir“, murmelte ich zynisch mehr zu mir selbst und war erleichtert, dass sich unsere Wege schon wieder trennten. Nicht alle Cops auf dem 24. vermittelten mir so eine Ablehnung wie Roenberg. Die meisten kamen eigentlich ganz gut damit klar, dass ich eine Frau war – allerdings behielt ich das mit dem Werwolf lieber für mich. Bei den Kollegen würde die Wahrheit wahrscheinlich weniger gut ankommen.
Ich hatte mir vorgenommen, den Bericht für meine neue Jane Doe zu tippen und dann etwas früher Schluss zu machen. Es war klar, dass ich bei meinen anderen sieben Fällen heute Nacht nicht mehr auf eine heiße Spur stoßen würde.
Name?, wollte der Computer wissen. Ich tippte Jane Doe ein. Alter? Unbekannt. Ich füllte die Kästchen mit den Angaben zur äußeren Erscheinung aus und schickte die Datei dann zur Überprüfung an die Vermisstenabteilung. Mit etwas Glück würde ich in drei Wochen erfahren, dass sie nichts gefunden hatten.
Todesursache?
Meine Finger schwebten über den Tasten. Vor meinem geistigen Auge sah ich das Mädchen auf dem nassen Straßenpflaster liegen – um ihre herausgerissene Kehle das getrocknete Blut und in der Blutlache unter ihr die verklebten langen schwarzen Haare. Ihre enge Kleidung, die keinen Platz für Ausweispapiere ließ. Aufgerissene, blutige Hände, mit denen sie sich gewehrt hatte … aber gegen was oder wen hatte sie sich gewehrt?
Ich blinzelte erschöpft. Die Nacht war einfach zu lang gewesen und hatte zu viel Tod mit sich gebracht. In das Feld zur Todesursache tippte ich Verblutet und klickte auf das Kästchen, das anzeigte, dass die Autopsie noch ausstand. Als der Drucker ein Exemplar meines Berichts ausgespuckt hatte, fügte ich die üblichen Formulare an und verstaute die neue Akte bei meinen anderen offenen Fällen in einem zerfledderten Akkordeonordner auf meinem Schreibtisch.
Jane Doe: Bericht geschrieben, Ermittlungen eröffnet und die Akte dort deponiert, wo sie hingehörte – bei meinen anderen ungeklärten Fällen.
Ich stand auf, streckte mich und schlüpfte in meine abgewetzte Motorradjacke. Mein Signalgeber im unteren Bereich meines Rückens meldete sich wieder mit einem stechenden Schmerz. Es war also definitiv an der Zeit, nach Hause zu fahren. Als Ich die Tür des Aufenthaltsraums erreicht hatte, hörte ich eine Stimme hinter mir, die sagte: „Wo will dieser süße Arsch denn jetzt schon hin?“
Als ich mich umdrehte, blickte ich direkt in das anzüglich grinsende Gesicht von Detective David Bryson, der eigentlich mein Kollege war. Allerdings muss das Wort Kollege in seinem Fall um einige Bedeutungsnuancen erweitert werden: verbale Anzüglichkeiten seinerseits, ein brennendes Verlangen, ihm körperliche Gewalt anzutun, meinerseits. Der einzige Grund, die Wölfin in mir im Zaum zu halten und ihn nicht zu Kleinholz zu verarbeiten, bestand in der Hoffnung, irgendwann mitzuerleben, wie er wegen sexueller Belästigung rausgeschmissen wurde.
„Hey, Wilder …“, keuchte er. Ein junger Latino war mit Handschellen an Brysons Arm gekettet. Der junge Mann trug Gang-Tattoos und hatte eine blutige Wunde an der Schläfe. „Sei ein gutes Mädchen und hilf mir, dieses Stück Dreck hier ins Vernehmungszimmer zu bringen“^ sagte Bryson, während er seinen Arm aus der einen Handschelle löste und dem Latino dann beide Arme auf dem Rücken zusammenkettete.
„Was zum Teufel ist mit seinem Kopf passiert?“ Der Gangster roch nach Schweiß, billigem Gras und nach Angst – Bryson hingegen verströmte eine Adrenalinnote und einen kupferartigen Geruch nach rasender, aber impotenter Wut.
Er grinste mich an. „Unser Vato hier hat Widerstand geleistet. Da hab ich ihn mit der Motorhaube meines Wagens Bekanntschaft machen lassen.“
Ich holte tief Luft. „Das ist großartig, Bryson. Wirklich phänomenal. Was steht für den Rest der Schicht noch auf dem Programm? Toilettenschüsseln und Telefonbücher?“
„Ach komm, wem soll er denn das schon erzählen? Der Idiot spricht doch nicht mal unsere Sprache.“ Er schubste den Latino in einen Stuhl neben seinem Schreibtisch. „Stimmt’s nicht, Pedro?“
„Su madre aspira martillos en el infierno“, brummte Pedro, und ich drehte mich schnell weg, damit Bryson nicht mitbekam, wie ich wegen der
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