Noelles Demut
Wärme ausgestrahlt. Dunkle, liebevolle Augen waren es gewesen. Und seine starken Arme hatten sie aufgefangen. Ganz vorsichtig hatte er sie gehalten. Noelles Herz schlug höher, als sie sein Gesicht vor sich sah. Der Mann hätte ihr Angst gemacht, wenn nicht diese Augen gewesen wären.
„Ihr Blutdruck ist stabil, und die Temperatur ist gesunken. Dr. Forrester wird gleich zu Ihnen kommen.“ Die Krankenschwester stellte Noelle ein Glas Wasser auf den Tisch, lächelte aufmunternd und verließ das Zimmer.
Noelle zog die Infusionsnadel aus ihrem Handrücken. Blut quoll aus dem Einstichloch. Sie griff nach einem Stück Mull, das auf dem Tisch neben ihrem Bett lag, und presste es auf das Blut. Fahrig zog sie einen Streifen Pflaster aus der Packung neben dem Mullstapel und klebte es auf den Einstich.
Ihre Beine waren wie Gummi, trugen sie kaum, doch darauf konnte sie keine Rücksicht nehmen. Im Schrank, neben dem Bett, fand sie ihre Sachen. Ihr zitterten die Hände so sehr, dass sie die Hosenbeine kaum überstreifen konnte. In ihrer Jacke fand sie ihre Autoschlüssel. Merkwürdig! Hatte sie die nicht steckenlassen?
Ganz leise öffnete sie die Tür und spähte in den Gang hinaus. Ein paar Meter weiter, auf der rechten Seite, standen eine Schwester und ein Mann in einem weißen Kittel und sprachen miteinander. Auf der anderen Seite war alles ruhig, und erleichtert sah Noelle, dass nach wenigen Metern eine Biegung kam. Vorsichtig schloss sie die Tür und huschte um die Ecke. Ein langer Gang lag vor ihr. Noelle versuchte, ruhig zu gehen, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Nach wenigen Metern sah sie eine Fahrstuhltür. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis sich die Tür öffnete. Eine ältere Frau im Rollstuhl und ein Pfleger grüßten freundlich, als sie die Kabine betrat.
Noelle hatte das Gefühl, in dem engen Raum zu ersticken.
Gleich hast du es geschafft. Nur noch zwei Stockwerke und du bist hier raus. Das Ping des Aufzugs ließ Noelle zusammenfahren. Lautlos glitten die Türen auseinander. Nur wenige Meter vor sich sah sie die Eingangstür. Sie beschleunigte ihre Schritte.
Vorm Eingang angekommen, sog sie gierig die frische Luft in ihre Lungen. Dann begann sie zu zittern. Ihr Wagen war weg. Panisch sah sie sich um und kramte nach den Schlüsseln in ihrer Tasche. In einiger Entfernung sah sie einen Parkplatz. Wie eine Besessene drückte sie auf die Fernbedienung, während sie zu den geparkten Autos ging. Plötzlich blinkte es zwei Reihen vor ihr auf. Vor Erleichterung hätte sie fast aufgeschrien. Noelle rannte zu ihrem Auto, schloss die Tür auf und ließ sich befreit auf den Sitz fallen. Ihr rann der Schweiß in Strömen über den Rücken. Sie fühlte sich so erschöpft, als hätte sie einen Marathon hinter sich.
Ein würziger Duft erfüllte den kleinen Fahrgastraum. Für ein paar Sekunden schloss Noelle die Augen und gab sich dem Geruch hin. Wieder sah sie den großen Unbekannten vor sich. Genau dieser Geruch hatte ihm angehaftet.
Ein kribbelndes Gefühl im Nacken ließ Simon vorm Eingang des Krankenhauses innehalten. Etwas stimmte nicht.
Als er sich umsah, wusste er sofort, was ihn beunruhigte. Der blaue Golf war weg. Nur mühsam konnte er ein drohendes Grollen verhindern. Zwei Stufen auf einmal nehmend, rannte er das Treppenhaus hinauf in den vierten Stock. Schon als er den Gang betrat, bestätigte sich seine Vermutung.
„Sie kann doch nicht einfach abhauen. Ich war nur zwei Minuten weg. Forrester schmeißt mich raus, wenn er das mitbekommt. Er ist sowieso nicht gut auf mich zu sprechen.“ In den Augen der Schwester schwammen Tränen.
Simon drängte sich an ihnen vorbei und starrte auf das leere Bett im Krankenzimmer.
Auf dem Laken breitete sich ein nasser Fleck aus. Die Infusion tränkte die Matratze. Lange konnte sie noch nicht weg sein, doch sie zu suchen hatte wenig Sinn.
Als Simon Lucians Zimmer betrat, stand Isabella am Fenster. Lächelnd drehte sie sich um. „Hi.“
„Hallo! Wo ist er?“ Simon nickte mit dem Kopf zum leeren Bett.
„Im Bad. Ich darf ihn mitnehmen, wenn er verspricht, zwei Tage im Bett zu bleiben.“
„Viel Spaß!“, sagte Simon gereizt.
„Ist alles in Ordnung mit dir?“
„Nichts ist in Ordnung. Die Kleine ist verschwunden.“
„Wie, verschwunden?“
„Sie hat sich aus dem Zimmer geschlichen und ist abgehauen.“
„Sie wird Angst haben.“
„Das glaube ich gern, aber wo wäre sie sicherer als in einem Krankenhaus?“
Isabella wollte etwas
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