Noelles Demut
Niemand konnte sie beobachten.
Noelle starrte Ann entgeistert an. „Trägst du etwa Klemmen?“
Noelle hatte noch nie gesehen, dass Ann verlegen wurde. Sie hätte es auch nicht für möglich gehalten, doch Anns Wangen begannen zu glühen.
„Das spielt doch gar keine Rolle. Bitte rede mit Simon. Schmeißt eure Liebe nicht einfach weg.“
„Das habe ich nicht vor. In mir hat alles gekribbelt, als ich Simon sah. Er war so beherrscht und atemberaubend sinnlich. Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich mir einen solchen Master durch die Finger gehen lasse?“
Ann lachte nicht. Ernst, mit einem sanften Lächeln um die Lippen, legte sie ihre Hand auf Noelles. „Von Anfang an spürte ich diese Nähe zu dir. Ich war mir nicht sicher, und nach allem, was du erlebt hast … Simon wird gut auf dich aufpassen.“
„Das weiß ich. Ich kann dir gar nicht sagen, wie glücklich ich bin. Es war die Hölle, nicht darüber reden zu können. Ich habe mich so sehr geschämt.“
„Das ist Unsinn, Noelle. Es ist nicht deine Schuld, dass Tom deine Grenzen überschritten hat. Jetzt verstehe ich deine Angst von damals, als ich deine Aussage aufgenommen habe. Du hast geglaubt, dass Tom vor Gericht aussagt, dass du es so wolltest?“
Noelle nickte und schämte sich unsagbar. „Das, was er getan hat, wollte ich nicht.“
Ann hielt Noelles Hände fest umschlungen. „Das weiß ich. Es hat Simon zutiefst erschüttert, deine Verletzungen zu sehen. Eine solche Grenzüberschreitung ist für uns BDSMler unverzeihlich.“
John hatte indes ein freches Grinsen im Gesicht, als er sagte: „Das ist das erste Mal, dass alle aus dem inneren Kreis des Clubs eine feste Beziehung haben.“
Noelle lächelte ihn an. Hatte Ann den Mut aufgebracht, mit ihm zu reden? „Gehörst du auch zum inneren Kreis?“
„Ich bin die Sonne, um die sich alles dreht. Ich manage die Bar.“
Noelle warf Ann einen fragenden Blick zu. Diese ergriff Johns Hand und führte sie an ihre Lippen. „John hat mir gestern seine Liebe gestanden.“
Noelle lachte befreit. Es war herrlich, mal keine Geheimnisse zu haben. „Das freut mich für euch.“
Doch Ann wurde wieder ernst. „Wie bist du eigentlich in den Club gekommen? Du wusstest doch nicht einmal, dass es ihn gibt?“
„Cassandra!“, sagte Noelle knapp.
„Diese Schlange! Geschieht ihr ganz recht, dass der Schuss nach hinten losgegangen ist.“
„Weißt du schon, dass sie zurück nach London geht?“
„Ich werde sie nicht vermissen. Als Sklavin war sie ganz tauglich, aber als Mensch ist sie grauenvoll. Selbst Jesse musste das feststellen, und er war mehr als angetan von ihr.“
Der Gedanke, dass Cassandra und Simon eine Master/Sklavin-Beziehung gehabt hatten, jagte Noelle noch immer kalte Schauer über den Rücken. Ihr war schlecht geworden, als Simon ihr davon erzählt hatte. Aber das war vor ihrer Zeit gewesen, und ihre eigene Vergangenheit war wesentlich schlimmer. Noelle legte die Hände auf den Tisch und stützte sich ab.
„So! Ich muss mal wieder in meine Küche, sonst flippt Fred aus. Einen schönen Abend noch. Wir sehen uns.“
„Noelle“, sagte Ann. „Du kannst mich jederzeit anrufen.“
„Danke! Isabella hat mir das Angebot auch schon gemacht. Ich bin bei Simon in guten Händen. Macht euch keine Sorgen.“
Simon war aufgeregt, als hätte er seine erste Session vor sich. Im Grunde war das auch der Fall. Noelle würde sich in den nächsten zwei Tagen in seine Hände begeben, sich seiner Führung anvertrauen und ihm grenzenloses Vertrauen schenken. Simon wusste, sie hatten viel Arbeit vor sich. Er gab sich nicht der Illusion hin, dass alles glatt laufen würde. Noelle war mental noch immer instabil. Ihr Unterbewusstsein hatte Verhaltensmuster und Ängste gespeichert, mit denen er sie konfrontieren musste, um ihre Vergangenheit zu durchbrechen.
Er fühlte sich dieser Aufgabe durchaus gewachsen, doch er hatte noch nie eine Frau dominiert, die er gleichzeitig liebte. Wie auch? Er hatte sich nie zuvor in eine Frau verliebt. Es war ein böser Streich des Schicksals, dass ausgerechnet Noelle ein solches Trauma erlitten hatte.
In den letzten Tagen hatten sie viel geredet, doch sie hatte ihm nicht sagen wollen, was Tom mit ihr getan hatte. Also musste Simon selbst herausfinden, was ihre Psyche belastete und was nicht.
Er holte tief Luft, bevor er die Klingel betätigte. Es war nicht nötig, dass die beiden Männer seine Unruhe und Angespanntheit mitbekamen.
Schwungvoll wurde die
Weitere Kostenlose Bücher