Glücklich gestrandet
Kapitel 1
D ora stellte ihre Taschen ab und betrachtete die Frau, die ihr quer übers Wasser hinweg zuwinkte. Wie angewiesen, hatte sie vom Bahnhof des hübschen Themsestädtchens aus ein Taxi genommen und sich am Zugang zu den Liegeplätzen absetzen lassen. Dann hatte sie telefoniert, um ihre Ankunft mitzuteilen. Ihre neue Vermieterin sollte sie hier abholen und einlassen.
Sie erkannte sie natürlich, aber die Mutter ihrer besten Freundin hatte sic niform des kleinstädtischen Englands getragen, wie Doras Mutter und so viele andere es immer noch taten: Rock, Seidenbluse oder vielleicht einmal ein tailliertes T-Shirt mit einer Kaschmir-Strickjacke kombiniert. Ihr Haar, das früher so ausgesehen hatte, als wäre sie ein Mal die Woche zum Friseur gegangen, wuchs jetzt ziemlich wild. Sie lächelte jedoch herzlich, und Dora kam der Gedanke, dass es vielleicht doch keine so schlechte Idee gewesen war, bei ihr Zuflucht zu suchen.
»Wie bist du bloß mit so viel Gepäck im Zug zurechtgekommen?«, fragte Mrs Edwards, als sie die Brücke überquert und Dora erreicht hatte. Sie griff nach einer Reihe von Jutetaschen, die überquollen von Wollpullovern. »Und wozu brauchst du all diese Pullover? Es ist Mai!«
»Meine Mutter meinte, auf Booten sei es immer kalt«, erklärte Dora entschuldigend. »Und die Leute im Zug waren sehr hilfsbereit«, fuhr sie fort und dachte an die Freundlichkeit der fremden Menschen, die sie beinahe zum Heulen gebracht hätte. Sie war so fertig, dass die kleinste Kleinigkeit sie umhauen konnte.
»Ich glaube wirklich, dass die Menschheit im Großen und Ganzen netter ist, als man es ihr zutraut«, sagte Mrs Edwards, die die Bemerkung über Kälte und Boote höflich ignorierte. »Also, komm mit.«
Dora hievte sich ihren Rucksack auf den Rücken und folgte ihr den Weg entlang, der zu einem hohen Stahltor führte. Mrs Edwards drückte mit der Brust gegen eine Metallplatte. Die Tür piepte, und die Mutter ihrer Freundin drückte sie auf.
»Ich steck mir den Transponder immer in den BH«, erklärte sie. »Im Allgemeinen habe ich die Hände voll. Ich werde dir auch einen geben, dann kannst du kommen und gehen, wie du willst.« Sie warf Dora einen Blick zu. »In Ordnung?«
Dora nickte und folgte Mrs Edwards den Gehweg hinunter zu den Schwimmbrücken. An jeder davon war irgendein Kanalboot festgemacht. Obwohl sie sich diese Boote gern angesehen hätte, war Dora doch dankbar, dass Mrs Edwards nicht stehen blieb – der Rucksack war so schwer. Nachdem sie an vier solchen Schiffen vorbeigegangen waren, machte Mrs Edwards vor einem stattlichen, dunkelgrün gestrichenen Schiff halt.
»Das ist die Drei Schwestern. Ursprünglich hieß sie so auf Holländisch, aber das konnte niemand aussprechen, und deshalb hat Michael, ihr Besitzer, den Namen übersetzt. Für ein holländisches Plattbodenschiff ist das ein recht häufiger Name.«
Mit einem Schwung beförderte Mrs Edwards die Taschen an Bord und folgte ihnen dann mit erstaunlich fließenden Bewegungen. Dora überlegte, dass ihre eigene Mutter erheblich mehr Aufhebens darum gemacht hätte. Aber sie machte ja stets um alles viel Aufhebens – einer der Gründe, warum Dora jetzt hier war.
Mrs Edwards drehte sich um, um ihr die Hand zu reichen. »Gib mir dein Zeug, und wenn du dort auftrittst, kommst du ziemlich bequem an Bord. Das wird dir bald in Fleisch und Blut übergehen, und du wirst kommen und gehen wie eine Katze.«
»Da bin ich mir nicht sicher«, sagte Dora, während sie unbeholfen an Bord kletterte. Dann folgte sie Mrs Edwards einige Metallstufen hinauf und durch eine Tür.
»Dies ist natürlich das Ruderhaus«, erklärte Mrs Edwards und deutete auf das riesige Steuerrad. »Es dient aber gleichzeitig als Gewächshaus.« Neben einer Reihe von Blumentöpfen mit Tomaten und Geranien entdeckte Dora auch Töpfe mit Basilikum und Petersilie. »Wenn wir jemals irgendwohin fahren würden, was wir Gott sei Dank nicht tun, müssten wir natürlich all die Töpfe irgendwo anders hinstellen.«
»Von hier aus hat man eine schöne Aussicht«, bemerkte Dora, während sie sich umsah. »Und wahrscheinlich jede Menge Sonne.«
»Ja, es ist wirklich hübsch hier. Normalerweise liegen hier nicht so viele Boote, doch im Moment haben wir jede Menge Besucher wegen der Rallye. Sie fängt morgen an.«
»Oh, bin ich zu einer ungünstigen Zeit gekommen?«
»Ganz und gar nicht! Es wird schön sein, ein wenig moralische Unterstützung zu haben.«
»Macht die Rallye denn
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