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Nördlich des Weltuntergangs

Nördlich des Weltuntergangs

Titel: Nördlich des Weltuntergangs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arto Paasilinna
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man das Fass leer trank.
    Und er war da, der Weltuntergang. Asien verschwand, Europa schluckte Meerwasser. Aus Amerika kamen keine Lebenszeichen. Drei schwere Meteoriten lösten sich nacheinander von dem Kometen und schlugen mit einem großen Beben, das überall zu spüren war, in die sündige Erdkugel ein. Der Nordpol wurde herausgerissen, und sein Magnetfeld zerschnitt die Herzwurzeln der Menschheit. Es folgte eine windige und neblige Finsternis, die zwei Tage und zwei Nächte anhielt. Lava- und Schwefelgeruch breitete sich aus. Die Stimmung war ähnlich wie einst bei der »Junifinsternis«.
    Als nach der Nacht des Weltuntergangs schließlich ein Morgen graute, stieg Stiftungsdirektor Eemeli Toropainen aus seinem Keller, um sich die Landschaft anzusehen. Die Sonne schien jetzt aus einem anderen Winkel als vorher. Sie war mit einem glühend roten Ring umgeben. Bald waren von Süden her seltsame Vogelstimmen zu hören. Zunächst kam ein verkohlter Flamingo angeflattert, er stieß grässliche Laute aus und verschwand zwischen den Kiefern. Dann folgten ganze Scharen seltsamer Meeresvögel mit arg verbrannten Schwanzfedern. Sie setzten sich auf den First der Kirche und wirkten irgendwie unglücklich.
    Nach und nach versammelten sich die Einwohner auf dem Kirchenhügel. Alle waren verstört, was kein Wunder war, schließlich hatte man soeben den Weltuntergang erlebt. Auf die Fragen, die gestellt wurden, wusste Eemeli Toropainen nur die Antwort, dass trotz allem, was geschehen war, in Ukonjärvi alles beim Alten bleibe. Die Rundfunkstationen hatten ihre Sendungen eingestellt, von der übrigen Welt war kein Mucks zu hören, aber die Idylle von Ukonjärvi hatte keinen Schaden genommen. Eemeli fand, dass man mit den Weihnachtsvorbereitungen beginnen solle, so als ob nichts geschehen wäre.
    Das Weihnachtsfest, das folgte, wich insofern von den vorhergehenden ab, als das Wetter warm und frühlingshaft war. Anfang Dezember schmolz das Eis auf den Seen. Zu Advent zeigten sich die ersten Weidenkätzchen, und in der Vorweihnachtswoche kamen die Bachstelzen nach Ukonjärvi. Die Ranunkeln begannen zu blühen. Am Heiligabend sangen die Kinder ein schönes altes Weihnachtslied:
    Ist denn jetzt der Sommer da,
in des Winters Mitte…?
    Am Stephanstag wurden die ersten Schwalben gesichtet. Sie bauten sich unter der Dachtraufe der Kirche ihre Nester und sangen aus voller Kehle. Das Gras auf dem Kirchenhügel wurde grün. An alldem war zu erkennen, dass die Weltbücher durcheinander geraten waren, aber zumindest für Ukonjärvi war das Ergebnis durchaus nicht übel.
    Aufgrund der gravierenden Wetteränderung beschloss Eemeli Toropainen, dass man anstelle von Silvester das traditionelle finnische Mittsommerfest feiern sollte. Am Seeufer wurde ein besonders großes Feuer abgebrannt. Aus allen Dörfern der Gemeinde strömten die Einwohner herbei. Man aß kleine Maränen in Brotteig und trank Bier. Gesprochen wurde unter anderem über den Lauf der Welt.
    Die Feier entsprach den guten alten Traditionen, abgesehen davon, dass die Sonne nicht an der üblichen Stelle unterging, sondern um fünfzig Grad entgegengesetzt, nämlich im Südsüdwesten. Nachdem sie für eine kurze Sommernacht hinter dem Horizont verschwunden war, ging sie keineswegs im Osten so wie früher, sondern fast im Nordnordwesten auf. Die Kirche warf ihren Schatten auf den See, während er vorher um diese Zeit den Friedhof bedeckt hatte. Jetzt hingegen badete der Gottesacker im Licht der aufgehenden Sonne.
    Die Leute wunderten sich nicht groß über diese Veränderungen. Sie fanden vielmehr, dass es Wichtigeres auf der Welt zu tun gebe, als Sonnenaufgänge zu beglotzen. Gleich nach Mittsommer zogen sie hinaus, um die Felder zu bestellen. Es war höchste Zeit, denn es herrschte bereits Hochsommer.
     
     
    Im übrigen Europa war die Situation anders. Ein Weltuntergang hinterlässt seine Spuren. In Montparnasse in Paris stand das Wasser sechs Meter hoch. Meeresfische schwammen auf den Straßen und in den Bistros herum. Zwei Dorsche mit ausdruckslosen Mienen studierten die vom Wasser aufgeweichte Speisekarte eines Fischrestaurants, auf der »Frittierter Dorsch für zwei Personen« zum durchaus günstigen Preis von 23 Euro angeboten war.
    Es war das Jahr 2023. Aus der Richtung der ehemaligen Seine waren abgehackte Motorgeräusche zu hören. Aus dem Nebel tauchte eine faltige und enttäuscht wirkende Pariserin in einem kleinen Boot auf, das einen uralten Außenbordmotor der Marke

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