Nördlich des Weltuntergangs
mehr als sonst in Gedanken daheim in Ukonjärvi. Dort hatte er eine Frau, ein Heim und ein Herrenhaus, einen Sohn, der heiraten wollte – eine ganze Gemeinde, für deren Schicksal er all die Jahre Verantwortung getragen hatte.
Die erste Phase des Winters war ungewöhnlich streng. Die Flüsse vereisten, und die Wale verschwanden aus dem Meer. Eemeli ordnete an, dass die Flotte zur Halbinsel Kola segeln und aus der Ponoi-Niederung zwanzig Rentiere, die man vor Schlitten spannen könnte, holen sollte. Die Männer aus Ukonjärvi, die sich dort angesiedelt hatten, sollten ebenfalls mitkommen. Eemeli selbst überwachte unterdessen die Anfertigung von Schlitten. Als die Schiffe zurückkamen, ließ Eemeli die Tiere füttern und die Lachsfässer ausladen. Dann ordnete er an, die leeren Schiffe auf die Uferböschung zu ziehen, und zwar so, dass sie zehn Meter über der normalen Wasserhöhe lagerten. Er glaubte, dass sie dort sicher waren, falls der Komet eine Sintflut verursachen sollte.
Der Komet am Himmel wuchs ständig und sah immer bedrohlicher aus. Ende Oktober setzte starker Schneefall ein, und da ließ Eemeli Toropainen das finnische Dorf am Weißen Meer räumen und alles für die Heimfahrt vorbereiten. Die Schlitten wurden mit Fisch und Walfett beladen und zu einem Zug verbunden, dann wurden die Rentiere vorgespannt. Nun ging es über den vereisten Fluss stromaufwärts.
Die Fahrt durch die vereiste Landschaft dauerte drei Wochen. Die Rentiere bewältigten die Strecke gut, sie fanden überall genug Flechten als Nahrung. Die Reisenden übernachteten in Dörfern, sie verzehrten dann und wann ein ermüdetes Rentier und tauschten bei den Einheimischen Walfett gegen Käse. Die Einheimischen fragten nach Schnaps, der jedoch nur für den Eigenbedarf reichte. Die Karelier wollten, dass Feldpröbstin Hillikainen Gebete sprach, die halfen, den Kometen zu zerstören. Sie waren zwar orthodoxen Glaubens, aber in der Not vertrauten sie auch einer evangelischen Pastorin.
Eine seltsame Unruhe bemächtigte sich der Reisenden, je weiter sie vorankamen. Nachts saßen sie am Lagerfeuer und prüften besorgt die Position des Kometen. Eemeli musste zugeben, dass die Angst auch ihn ansteckte. Alle wollten so schnell wie möglich nach Hause, also verlängerte er die Tagestouren, auch um der Stiftungsgemeinde ihren Leiter zurückzubringen.
An der Grenze trafen sie wieder den Feldwebel, der Informationen über den Kometen hatte. Zwei Wochen zuvor hatte er einen Brief des Instituts für astronomischen Krieg aus Berlin bekommen, worin der Komet als harmlos bezeichnet wurde. Alle Militärbehörden, also auch der Feldwebel auf seinem einsamen Grenzposten, wurden aufgefordert, die Bevölkerung zu beruhigen und darauf hinzuweisen, dass das Gerede von der Schicksalhaftigkeit der Kometen auf einem lächerlichen Aberglauben beruhe. Der Feldwebel selbst vertraute jedoch nicht auf dieses Schreiben, schließlich hatten die europäischen Kriegsherren noch nie Wort gehalten. Er hatte sich wohlweislich in den Hügel hinter seiner Sauna einen Unterstand gegraben. Eemeli Toropainen schenkte dem Feldwebel zur Absicherung seines Lebensunterhaltes drei ermüdete Rentiere. Der Rest der Wegstrecke auf den breiten und vereisten Straßen auf finnischer Seite war in zwei Tagen bewältigt.
In Ukonjärvi war alles in Ordnung, von Panik keine Spur. Die Leute fällten Bäume zur Brennholzgewinnung, im Laakajärvi wurde gefischt. Eemeli und Taina feierten ein zärtliches Wiedersehen.
»Da kommst du ja endlich, und du bist am Leben und gesund«, freute sich Taina.
Die Vorzeichen des Untergangs blieben bestehen. Der Komet wurde immer heller und füllte nach und nach den ganzen Himmel aus. Er war sogar schon durch die Wolken zu sehen, erhellte die Landschaft Tag und Nacht. Tuirevi Hillikainen hielt jeden zweiten Tag Gottesdienst, und fast immer war die Kirche voll. Eemeli wies die Einwohner der Gemeinde an, sich leinene Atemschutztücher zurechtzulegen und in den Kellern Trinkwasser bereitzustellen. Die Viehpfleger sollten auch nachts in den Ställen bei den Tieren Wache halten.
Dann, am Morgen des 24. November 2023, fiel Küster Severi Horttanainen der Löffel aus dem Mund. Die Erde bebte, blendende Helle erfüllte die Welt. Alle, die laufen konnten, eilten in die Schutzräume. Eemeli Toropainen saß im Keller seines Herrenhauses auf einem Hundert-Liter-Bierfass und bat Taina, den Zapfen zu öffnen. Wenn jetzt der Weltuntergang kam, sollte man ihn begrüßen, indem
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