Nomadentochter
nicht!«, aber ich hörte nicht auf sie, sie machte mir ständig Vorschriften. Als sich die Abenddämmerung über den fernen Hügeln ankündigte, gingen wir in den Busch, den
tuug
entlang und auf der anderen Seite wieder hoch, um nach den Ziegen zu rufen. Er fand eine hübsche Akazie und sagte: »Lass uns hier ein wenig im Schatten rasten.« Dann zog er seine Jacke aus und forderte mich auf, mich neben ihn zu setzen.
Er wirkte irgendwie seltsam, und deshalb erwiderte ich, ich wolle erst die Ziegen holen; aber er bestand darauf, dass ich mich auf seine Jacke setzte. Also setzte ich mich ganz vorsichtig auf den Rand, und er legte sich neben mich. Er war so nahe, dass ich seinen Schweiß riechen konnte. Ich sah den Ziegen eine Weile zu, wie sie Gras kauten und mit den Mäulern den Boden entlangfuhren, um die frischen, jungen Schösslinge aufzuspüren.
»Hör mal, Waris«, sagte er, »ich erzähle dir jetzt Geschichten. Leg dich hin und sieh zu, wie die Sterne hervorkommen.« Das mochte ich, und ich legte mich gehorsam zurück.
Er drehte sich auf die Seite und stützte den Kopf in die Hand. Dann kitzelte er mich am Hals und erzählte mir eine Geschichte von einem Mädchen, das eine große Nase hatte. Er berührte meine Nase und sagte, sie habe auch einen dicken Hals, einen dicken Bauch und große Brüste. Dabei fasste er mich jedes Mal an. Und auf einmal zog er an meinem
guntino
, packte mich und knotete ihn auf. Er warf sich auf mich, obwohl ich schrie, er solle weggehen. Aber natürlich konnte mich niemand hören, weil wir so weit vom Lager entfernt waren. Er schob mir das Kleid hoch und drängte mir die Beine auseinander. Sein
maa-a-weiss
stand offen, und er presste sich gegen meine Vagina. Ich schrie: »Hör auf! Hör auf! Was tust du da?« Da legte er mir seine große Hand über den Mund, und etwas spritzte aus ihm heraus. Lachend wälzte er sich von mir, und ich hatte den ganzen klebrigen Ekelschleim auf mir. Noch nie in meinem Leben hatte ich es gerochen, und bis zum heutigen Tag hasse ich den Geruch...! Ich stand auf, wischte mich ab und rannte den ganzen Weg nach Hause. Dort klammerte ich mich ans Bein meiner Mutter und schnupperte an ihr – sie roch sauber wie die Erde. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, weil ich nicht wusste, was passiert war. Ich hatte keine Ahnung von Sex, weil bei uns nie darüber gesprochen wurde. Dieser Mann hatte etwas Unrechtes getan, aber ich konnte es nicht benennen. Also umklammerte ich einfach nur das Bein meiner Mutter.
Sie strich mir über den Kopf und sagte: »Kleines, beruhige dich, was ist los, Liebes? Was ist los? Hat eine Hyäne dich gejagt?« Ich konnte nicht weinen, nicht reden, ich bekam kein Wort heraus, klammerte mich bloß an sie und ließ sie nicht los. Ich fühlte mich schmutzig und schämte mich – aber ich verstand nicht, warum. Dieser hassenswerte Mann hatte jedoch auf alle Fälle der Familie, die ihm Unterschlupf gewährte, etwas Schlimmes angetan.
Die Trennung von Dana löste jedoch meine Probleme nicht. Ich war eine allein erziehende Mutter ohne Wohnung und ohne die Unterstützung einer Familie. Eigentlich hätte es mir helfen sollen, dass er aus meinem Leben verschwand – aber es machte alles nur noch schlimmer. Ich fühlte mich so allein, dass ich mich ständig nach meiner Mutter sehnte; aber mein Traum, meine Familie wiederzufinden, schien von Tag zu Tag unerfüllbarer zu werden. In den Zeitungen standen nur schreckliche Nachrichten aus Somalia. Im Oktober 1992 hatte ich gelesen: »Bis zu zwei Millionen Somalis sind dem Hungertod nahe, und zweitausend sterben jeden Tag.« In meiner Heimat gibt es nur viereinhalb Millionen Menschen, deshalb glaubte ich den Journalisten, die schrieben: »Somalia ist die Hölle!« Was in den Jahren der Hungersnöte und Stammeskriege, die stattgefunden hatten seit meiner Abreise, aus meiner Familie geworden war, entzog sich meiner Kenntnis. Ich wusste nur, dass die Regierung total zusammengebrochen war, nachdem man Muhammad Siad Barre 1991 verjagt hatte. Fast zehn Jahre später war die neue Regierung noch immer nicht in der Lage, Frieden zwischen den Kriegsparteien zu stiften.
Meine Mutter wusste nicht einmal, dass ich einen Sohn hatte. Es gab keine Möglichkeit, es ihr mitzuteilen. Der schon immer eingeschränkte Postzustelldienst war mittlerweile völlig zerstört, und meine Familie lebte auch nicht in der Nähe einer Poststelle. Aber selbst wenn das so gewesen wäre – keiner von ihnen konnte lesen oder
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