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Nomadentochter

Titel: Nomadentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Waris Dirie
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Mann kann zu seiner Frau oder ihrer Familie sagen: »Ich lasse mich von dieser Frau scheiden«, und wenn ihn die Familien nicht vom Gegenteil zu überzeugen vermögen, ist die Ehe beendet. Eine Frau darf ihren Mann verlassen, wenn er nicht für sie sorgt – aber wohin soll sie gehen? Was soll sie machen? Männer müssen ihrer Braut die Ziegen oder Schafe zurückgeben, die ihr gehören; das ist alles, was sie mitnehmen darf, wenn sie sich trennen.
    »Waris«, sagten meine Freundinnen, »du hast das schon richtig gemacht. Wir müssen uns gegen die Männer wehren, sonst nutzen sie uns nur aus.« Das überraschte mich, denn eigentlich hatte ich erwartet, sie würden sagen, so sind Männer eben, und pass bloß auf! Er verprügelt dich bestimmt, wenn du nach Hause kommst. Sharla sagte: »He, bleib einfach ein paar Tage bei mir.« Sie hatte schon früher mitbekommen, wenn Dana und ich uns stritten, und nahm wohl an, dass auch dieser Sturm vorüberziehen würde; aber ich glaubte das nicht. Es war zu weit gegangen. Ich empfand nichts mehr für Dana. Unsere Beziehung war wie ein leeres Straußenei oder ein ausgetrocknetes Flussbett – jedes Leben war daraus entwichen. Es gab ein Lied, das die Frauen daheim immer sangen, und ein paar Zeilen fielen mir ein.
Ziegen musst du liebevoll versorgen.
    Kamele musst du festbinden.
    Deine Kinder haben viele Bedürfnisse.
    Für deinen Mann musst du Besorgungen machen.
    Und er wird dich schlagen für nicht begangene Fehler.
    Als ich nach Hause kam, war Dana nicht da, also würde es keine Entschuldigungen und keine Versöhnung geben. Aleeke wurde von seiner Großmutter gehütet, und ich fühlte mich alleine mit den
djinns
. Sie sprangen die ganze Nacht in meinem Kopf herum, sodass ich nicht schlafen konnte und immer wütender und nervöser wurde. Ich wusste, dass unsere Beziehung nicht mehr zu kitten war.
    Als Dana dann auftauchte, sagte ich zu ihm: »Du musst ausziehen, lass mich in Ruhe.«
    Er starrte mich an und schüttelte den Kopf. »O nein, Irrtum! Wenn hier jemand geht, dann du.«
    Ich hasste es, umzuziehen, obwohl ich ein Nomadenleben geführt habe. Wir mochten das alle nicht gerne. Wenn die Ziegen und Kamele das Gras abgefressen hatten und wir weiterziehen mussten, brach mein Vater immer mitten in der Nacht auf, damit wir an Wasser und frisches Gras gelangten, bevor andere es berührt hatten. Normalerweise schliefen wir alle fest; aber er rüttelte uns wach und erklärte uns, wir müssten aufstehen, zusammenpacken und die Kamele beladen. Es war stockdunkel, und alle stolperten herum, um die Sachen im Finstern zu finden – bis auf meinen Vater. Irgendwie konnte er im Dunkeln sehen.
    »Hol den Kochtopf, Waris.«
    »Ich finde ihn nicht.«
    »Auf der anderen Seite der Feuerstelle.« Ich eilte dorthin und fand ihn tatsächlich, indem ich den Boden abtastete – wobei ich hoffte, nicht in glühende Holzkohlen zu fassen.
    Meine Mutter und er beluden die Kamele mit unseren Habseligkeiten. Frauen flochten Stricke aus Tierfellen, die sehr fest waren. Mama band die Stricke unter den Bauch des Kamels und von seinen Ohren bis unter den Schwanz. Daran hängte sie unser Hab und Gut. Dann brachte sie das Tier dazu, sich hinzuknien, damit sie an den Rücken kam. Zuerst legte sie unsere Decken über den Höcker. Alles musste gut festgebunden und sorgfältig ausbalanciert werden, damit es während des langen Marsches nicht herunterfiel oder verrutschte. Es war schwer, im Dunkeln zu sehen, und manchmal löste sich die ganze Last, und mein Vater schlug meine Mutter dafür mit seinem Schuh. Mama lud besondere Gewichte wie unsere Milchkörbe an beide Seiten, dann kamen unser Kochgeschirr und die kleineren Körbe. Auf einem anderen Kamel brachte sie die Matten unter, die unsere runde Hütte bedeckten. Sie wurden zusammengerollt und festgebunden. Mutter baute die Last auf wie eine Hütte, sodass das Kamel sie bequem tragen konnte. In die Mitte setzte man ein kleines Kind oder ein junges Tier, das noch nicht schnell genug laufen konnte, um mit uns Schritt zu halten. Wir alle kannten die Schicksale von Kindern, die einfach in der Wüste zurückgelassen wurden, weil sie zu langsam waren. Wir liefen hin und her und halfen eifrig – aus Angst, etwas zu vergessen, aber auch aus Angst, selber vergessen zu werden. Während meine Eltern die Kamele beluden, sang meine Mutter das Arbeitslied, den
salsal
.
    Nörgeln und Sorgen sind die Gefährten
    eines Mannes mit vielen Frauen.
    Ich glaube nicht, dass meinem Vater

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