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Nomadentochter

Titel: Nomadentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Waris Dirie
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wiedergeben, schließlich habe ich genug bezahlt«, grollte Mohammed.
    »Was war da drinnen los?«, fragte ich Abdillahi, der mir vernünftiger vorkam als mein Bruder.
    »Dein Bruder hat sich aufgeregt und fing an, mit dem Angestellten herumzustreiten. Beinahe hätte er einen Polizeibeamten niedergeschlagen«, berichtete Abdillahi. Mohammed rannte immer noch aufgeregt hin und her. Mit erhobenen Handflächen wandte sich unser Fahrer ihm zu, was so viel bedeutete wie: »Beruhige dich, du musst dich beruhigen!«
    »So können sie nicht mit mir umgehen«, beschwerte Mohammed sich. »Ich habe die Gebühren bezahlt, und sie haben nicht das Recht, mich unverschämt zu behandeln.«
    Abdillahi machte eine wegwerfende Geste. »Wir sind hier nicht ein Europa, mein Freund. Diese Typen haben Pistolen und sie benutzen sie auch. Ihnen ist egal, wer du bist oder was du für ein Problem hast. Du solltest dich besser nicht in Schwierigkeiten bringen – also leg dich nicht mit jemandem an, der eine Waffe besitzt. Es spielt keine Rolle, ob er dich erschießen darf oder nicht.«
    Jetzt packte Abdillahi meinen Bruder und hielt ihn fest, damit er nicht auf irgendjemanden eindrosch. Die Polizei hatte zwar die Dokumente zurückgegeben, aber ich fürchtete immer noch, sie könnten ihre Meinung ändern.
    »Abdillahi, glaubst du, du wirst meine Mutter finden?«, unterbrach ich ihren Streit über Taktiken der Behörden bezüglich Drogen und
khat
; denn ich wollte endlich vom Flughafen weg und zu meiner Familie.
    »Deine Familie lebt in der Nähe der Grenze zu Äthiopien«, gab Abdillahi Auskunft. »Ich komme gerade aus der Gegend und bin die ganze Nacht gefahren, um rechtzeitig zur Ankunft des Flugzeugs hier zu sein. Glaub mir, ich finde sie!«
    Immer noch besorgt fragte ich: »Hast du eine Karte?«
    Abdillahi warf mir einen schrägen Blick zu und erklärte: »Ich bin Somali.«
    »Klar wird er sie finden«, lachte Mohammed. »Er braucht keine Landkarte, er hat es im Kopf!«
    »Wie lange dauert es bis dorthin?«, fragte ich aufgeregt. Ich wollte meine Mutter umarmen, ihr Gesicht berühren, jeden Zentimeter!
    »Acht oder neun Stunden je nach dem Zustand der Straßen und der Militärkontrollen«, meinte Abdillahi und strich sich über sein Bärtchen.
    »Was soll das heißen, acht Stunden?«, schrie ich. Ich konnte es nicht glauben. Drei Tage meiner kostbaren Zeit hatte ich schon in Flugzeugen und einem grässlichen Hotelzimmer vergeudet. Nun sollte immer noch ein ganzer Tag Fahrt vor uns liegen – und die Sonne war schon halb über den Himmel gewandert. Hysterisch rannte ich hin und her, wobei ich die ganze Zeit auf mein Kleid trat, und schließlich riss ich mir den Schal vom Kopf. Er erstickte mich, und es war so heiß, dass ich kaum Luft bekam. Acht Stunden im Auto bedeutete abermals zwei Tage weniger bei meiner Familie – weil wir ja auch wieder nach Bosasso mussten vor dem Rückflug nach Europa. Mohammed und Abdillahi musterten mich, als ob ich den Verstand verloren hätte. Für sie schien Zeit keine Rolle zu spielen. Sie lebten auf einem anderen Planeten, nicht auf meinem mit Terminen und Verabredungen. Aber ich hatte keine Wahl – am besten ich beruhigte und fügte mich.
    »Wie viel kostet die Fahrt?«, fragte Mohammed. Abdillahi wollte dreihundert amerikanische Dollar dafür. Mohammed bot ihm einhundert, aber er lehnte ab.
    »Mohammed, gib es ihm einfach, damit wir hier wegkommen«, flüsterte ich. »Lass uns doch nicht auch noch damit Zeit verschwenden!« Mein Bruder jedoch blickte mich nur finster an. Ich sollte mich aus seinen Angelegenheiten heraushalten; ergeben wartete ich in der glühenden Sonne, während sie verhandelten.
    »Dreihundert ist zu viel«, fand Mohammed. »Wir sind doch alle Mijertein, meine Schwester und ich und du!«
    »Ich bin arm und brauche das Geld für meine Kinder.«
    »Hör zu, Abdillahi, einhundert amerikanische Dollar, das ist ein Vermögen hier. Ich weiß das, und du weißt es – für diese Fahrt ohnehin mehr als das Übliche! Außerdem«, witzelte Mohammed, »weißt du doch schon, dass ich verrückt bin.«
    »Ja, das stimmt«, erwiderte Abdillahi grinsend. »Ich bringe euch vermutlich lieber hier weg, bevor du noch mehr Scherereien machst. Wenn du jemanden verletzt, muss ich auch noch den Blutpreis bezahlen.«
    »Gut, also einhundert Dollar«, fasste Mohammed zusammen, und sie besiegelten das Geschäft mit einem Händedruck. Ich gab Abdillahi das Geld, damit er uns quer durch Somalia zu dem winzigen Ort

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