Nomadentochter
und warf sie hoch, um die Freiheit zu spüren. Die Sonne strahlt so hell und kräftig, dass einem alles ganz nah erscheint. Ich konnte den Indischen Ozean erkennen, und mir kam es vor, als bräuchte ich nur hinzuspazieren und hineinzuspringen. So lange hatte ich die geheimnisvollen Geräusche nicht vernommen, die der Wind über der offenen Wüste erzeugt – fast hatte ich sie vergessen. Ich erkannte alles wieder – die Akazien, die Käfer und die Termitenhügel, die winzigen Dikdiks, die Strauße und die gurrenden Laute der Tauben. Ich betrachtete die Menschen und las in ihren Mienen, wusste, was sie dachten und vorhatten. Es war wundervoll, nach all diesen Jahren in der Fremde endlich wieder dazuzugehören. Ein Geruch stieg mir in die Nase – Angella! Wir hatten es immer zum Frühstück gegessen – es ist ein säuerlicher Pfannkuchen, der einen für den ganzen Tag sättigt. Tränen stiegen mir in die Augen, aber nicht der Trauer, sondern der Freude! Mama Afrika, dachte ich, du hast mir so gefehlt. Wie hatte ich nur so lange wegbleiben können? Du bist alles für mich! Die Leute ringsum gingen ihren Tätigkeiten nach, sie wirkten ganz normal, und ich hatte das wunderbare Gefühl der Vertrautheit. Hier steht die Wiege meiner Träume. Ich bin eine Tochter Afrikas, und ich wollte auf der Stelle meine Mutter sehen. Dann erst wäre ich wirklich am Ziel.
Die Sonne stand im Zenit, und sie war unglaublich heiß. Nach all den Jahren in London und New York traf mich die heftige Hitze überraschend. In der Ferne schimmerte der Indische Ozean, und ich war froh über die leichte Brise, die vom Wasser herüberwehte, weil ich mich erst an die hohen Temperaturen gewöhnen musste. In der Hitze ist es wichtig, sich zu entspannen, man kann nicht herumrennen.
Von diesem winzigen Flughafen aus gab es keine Züge oder Busse; wenn man kein Auto hatte, musste man laufen. Vor dem weiß gestrichenen Terminal warteten Männer mit Mietwagen. Viele dieser Autos gehören Frauen, die lieber als Prostituierte in Saudi Arabien arbeiten, als in den Flüchtlingslagern zu verhungern. Mit dem Geld, das sie sparen, kaufen sie Autos und schicken sie dann nach Somalia. Sie stellen Fahrer ein und führen Taxi-Unternehmen. Somalische Frauen fahren selber nicht – aber wenn man ein Auto besitzt, gilt man wirklich als reich.
Mohammed sagte: »Ich regel das schon«, lief an den Autos entlang und musterte jeden Fahrer eindringlich. Als er einen Stammesbruder aus Mogadischu entdeckte, verkündete er: »Wir können ihn nehmen. Abdillahi ist Mijertein.«
»Bruder, wir sollten uns vergewissern, dass wir jemanden mit einem intakten Auto bekommen, das uns nicht auf halber Strecke zusammenbricht«, bat ich.
Aber mein Bruder hatte seine Wahl schon getroffen. »Leuten aus unserem Stamm kannst du vertrauen«, teilte er mir mit. »Wir fragen ihn, ob er uns nach Gelkayo bringt.«
Abdillahi fuhr einen alten, zerbeulten Kombi. Vorne war er völlig eingedellt, und die Motorhaube hatte er provisorisch mit Draht befestigt. Die Reifen waren abgefahren und so glatt wie die Haut eines Babys, die Sitze waren aufgerissen und durchgesessen. Mohammed begrüßte Abdillahi, und die beiden Männer redeten Arm in Arm miteinander. Abdillahi war groß, hatte ein schmales Gesicht und ein Ziegenbärtchen. Über dem traditionellen
maa-a-weiss
trug er ein weißes Hemd. Das
maa-a-weiss
ist ein gemustertes Tuch, das sich Männer um die Taille schlingen und vorne zwischen den Beinen hindurchführen. Es reicht ungefähr bis zur halben Wade. Die meisten Flughafenarbeiter trugen es. Die beiden Männer gingen in das Gebäude, um die Landegebühr zu bezahlen und unsere Papiere zu holen. Die Stewardess hatte sie eingesammelt, als wir ins Flugzeug gestiegen waren. Ich habe britische Papiere, in denen steht, dass ich nicht nach Somalia reisen darf; natürlich hatte ich Angst, dass sie mich erneut ausweisen würden; aber Mohammed versicherte mir, er würde sich schon darum kümmern. Die Sonne brannte, und mir lief der Schweiß den Rücken hinunter. Die ganze Atmosphäre kochte. Warum brauchen die Männer nur so lange?, dachte ich. Am liebsten hätte ich mir den Schal vom Kopf gerissen; ich konnte es kaum erwarten, mich endlich ins Auto zu setzen und loszufahren.
Schließlich kamen sie wieder heraus, und ich sah, dass Abdillahi ganz aufgebracht war. »Dein Bruder hat sich mit der Polizei angelegt!«
»Weil sie nicht das Recht hatten, unsere Papiere zurückzuhalten. Sie müssen sie uns
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