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Nonnen

Nonnen

Titel: Nonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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Wohnung, die
schon längst eine Renovierung nötig gehabt hätte.
Er konnte sich zu nichts aufraffen, seine ganze Kraft steckte in
den Erzählungen, und das wenige, was sie übrig
ließen, brauchte er fürs Büro. Er konnte es sich
nicht leisten, unaufmerksam zu werden, denn er war auf das Gehalt
angewiesen, und er hoffte, daß alles so weiterliefe wie
bisher. Und genau das ist dein Fehler! sagte er sich. Doch
er wollte es nicht gern hören. Du willst nichts an deiner
traurigen Situation ändern, und doch bist du selbst schuld
daran. Du trägst Bindungsängste mit dir herum,
Komplexe, die dich den anderen Menschen entfremdet haben, und
jammerst über deine Lage. Selbstmitleid! Nichts anderes! Nein. Darum ging es nicht. Er war ja nicht unglücklich.
Welche Frau hätte sein Hobby verstehen können, seine
Existenz in den Welten der Imagination, sein Leben im Garten
Eden. Nie hatte dies jemand begriffen.
    Schon seit seiner Kindheit träumte er sich davon. Damals
war es ihm nicht möglich gewesen, diese Träume,
Wünsche und Hoffnungen zu kanalisieren, und er wirkte nur
unaufmerksam und abwesend. Seine Lehrer mochten ihn nicht –
bis auf jenen Deutschlehrer, der ihn als erster ermuntert hatte
zu schreiben, damals im Lyrikkurs. Doch Benno hatte schnell
begriffen, daß Gedichte nicht seine Ausdrucksform waren.
Dennoch, den ersten Impuls hatte er zu jener Zeit bekommen. Die
Mitschüler fanden ihn bestenfalls verschroben, die
freundlicheren ließen ihn in Ruhe, die anderen
hänselten ihn, und wieder andere schwärzten ihn an und
schlugen ihn. Er durfte nicht daran denken. Das war alles
schwarze Vergangenheit. Er sah ihre Gesichter nicht mehr, hatte
sie alle vergessen, seine Peiniger, die Bestien in
Menschengestalt, die ihn zu dem gemacht hatten, was er nun war!
Und seine Eltern – Friede ihrer Asche – hatten
ihm nicht geholfen. Er müsse sich verteidigen, müsse
selbst sehen, wie er zurechtkomme. Sie schauten zu, wie er
unterging. Er wechselte schließlich die Schule, und sein
Leben glättete sich langsam. Nicht länger war jeder
Mitschüler sein Feind. Doch die erhoffte grundlegende
Änderung trat nicht ein. Er blieb ein Fremder unter Fremden,
der nicht über zaghafte Bekanntschaften hinaus gelangte. Das
Abitur war eine Erlösung gewesen, doch seine Noten waren so
schlecht, daß er weder Theater- noch Kunstwissenschaften
studieren durfte; dies hätte ihn interessiert. So blieb ihm
nur Jura. Wenn er an seine aufgeblasenen Kommilitonen dachte! Sie
fuhren ihr Cabrio, das ihnen der stinkreiche Vater oder die
geschiedene Karrieremutter gekauft hatten, mit einer
lässigen Selbstverständlichkeit. Wenigstens
kümmerte sich in dem Massenbetrieb niemand um ihn. Er nahm
an, daß er der einzige Student war, der sich allein durch
die Semester gebissen hatte, und da er leider keine besondere
Begabung für die Rechte zeigte, mußte er sich jeden
Leistungsnachweis mühsam erkämpfen. War es da ein
Wunder, daß er durch das Examen fiel? Den zweiten Anlauf
hätte er eigentlich schaffen müssen, doch kurz vorher
starben sein Vater und seine Mutter bei einem schrecklichen
Autounfall. Sie wollten eine Tante besuchen, und Benno hatte sich
geweigert, sie zu begleiten. Als hätte er es gewußt!
Er war bei den Prüfungen so durcheinander, daß er
alles verdarb. Danach verdingte er sich bei der Versicherung, es
waren bessere Zeiten gewesen, und er war froh, so der Sorge um
das tägliche Brot enthoben zu sein. Doch ohne ein
abgeschlossenes Studium boten sich ihm keine
Aufstiegsmöglichkeiten. Und da saß er nun seit vielen
Jahren auf seiner Stelle, und nichts rührte sich in seinem
Leben, nichts als die Literatur, die phantastische Literatur. Wie
war er auf diese Erinnerungen gekommen?
    Sie drängten sich ihm oft auf, wenn er unter den alten
Bäumen, zwischen den Mausoleen und Grabsteinen saß.
Früher, zu den Zeiten seines Studiums, war er jeden Tag
durch diesen Friedhof gegangen, es war der kürzeste
Fußweg zur Universität gewesen. Wie sehnsuchtsvoll
hatte er sich vorgestellt, einmal mit einem Mädchen hierher
zu kommen. Nie hatte er Aufsehen erregt, nie Blicke auf sich
gezogen, höchstens durch seine Ungeschicklichkeit.
Wahrscheinlich war es gut so.
    Er ging nach Hause und setzte sich an seinen kleinen
Schreibtisch aus den Schülertagen. Noch einmal las er die
Einleitung, und sie erschien ihm vielversprechend. Es war schade,
daß er wußte, wie es weitergehen würde.

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