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Nonnen

Nonnen

Titel: Nonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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Benno Durst saß im Büro über seinen Akten und
wünschte sich weit, weit fort. Was er da bearbeitete,
interessierte ihn nicht. Es ging um entlaufene Hunde,
eingeschlagene Fensterscheiben, rutschige Bürgersteige,
brüchige Treppen und dergleichen mehr. Schäden
über Schäden, und alle wollten ersetzt werden. Anstatt
sich vorsichtig durchs Leben zu bewegen, wie er selbst es tat,
schien jeder andere nur sich allein zu sehen und zu
schätzen, blind für anderes und andere herumzulaufen
und sich gehörig zu wundern, wenn ein Unglück geschah.
Um dessen Folgen zumindest finanziell zu beheben, war Benno da.
Er arbeitete in der Schadensabteilung einer großen
Versicherung in Köln. Es war nicht der Beruf, den er sich
gewünscht hatte, aber als er zum zweiten Mal durch das
juristische Staatsexamen gefallen war, hatte sich für ihn
keine andere Chance ergeben. Er war froh, überhaupt eine
Stelle gefunden zu haben.
    Kaum jemand in der Abteilung mochte ihn, da war er sich
sicher. Nur Herr Bandmann, mit dem er das Büro teilte,
fragte manchmal nach Bennos Befinden, und in gewisser Hinsicht
schien er Benno sogar zu bewundern. Dies kam, weil Benno
Geschichten schrieb und Herr Bandmann sie gern las und von ihrer
Güte überzeugt war. Die Geschichten waren düster
und melancholisch, unheimlich und beängstigend. Herr
Bandmann mochte phantastische Literatur. Da war er beinahe eine
Ausnahmeerscheinung. Er sagte oft zu Benno, daß er finde,
die Phantastik werde zu Unrecht als trivial beschimpft, denn
schließlich sei sie die Literaturgattung mit dem
größten philosophischen Potential. Benno hörte
dies gern, doch im Grunde war es ihm einerlei, was die anderen
über sein Hobby sagten. Er schrieb nicht, um anerkannt zu
werden. Er schrieb, um die Bilder, Visionen und Gefühle
auszudrücken, die sich in ihm anstauten. Wenn er an einer
neuen Geschichte arbeitete, war ihm sein äußerliches
Leben gleichgültig. Es bereitete ihm dann jedesmal
Mühe, sich auf seine Tätigkeit im Büro zu
konzentrieren; die Gefahr, daß er sich in seinen
Geschichten verlöre, war groß.
    Er hatte nichts anderes, war nicht verheiratet, seine Eltern
waren tot, er besaß keine Freunde, nur wenige Bekannte aus
fernen Schultagen, die er manchmal traf, doch lebten sie nicht
allein, und er kam sich in ihrer Gesellschaft
überflüssig vor. Auch glaubte er, daß sie ihn als
Versager betrachteten. Sein Gehalt erlaubte ihm nur eine kleine
Wohnung, einen kleinen Wagen, ein kleines Leben. Da nutzte er die
Geschichten, um sein Leben groß zu machen. Eigentlich
schrieb er sie nur für sich selbst. Doch zufällig hatte
Herr Bandmann eines Tages ein Manuskript von ihm gesehen, das
Benno unachtsam auf seinem Schreibtisch hatte liegen lassen, als
er in das Büro des Chefs gerufen worden war, und bei seiner
Rückkehr fand er seinen Kollegen schmökernd vor. Er
entriß dem verdutzten Herrn Bandmann die Blätter und
verschloß sie in einer Schublade.
    »Nun bin ich aber neugierig geworden, Herr Durst«,
sagte Herr Bandmann. »Sie schreiben in Ihrer Freizeit
Geschichten? Und offenbar nicht nur in Ihrer Freizeit. Aber keine
Angst, ich werd’s nicht weitererzählen. Nicht, wenn
Sie mir einmal erlauben, eine Geschichte von Ihnen ganz zu lesen.
Was ich eben überflogen habe, hat mir sehr gut
gefallen.«
    Was blieb Benno da anderes übrig, als dem Wunsch des
Herrn Bandmann zu entsprechen. Anderntags brachte er ihm eine
alte Erzählung über ein unheimliches Bild mit, Ausdruck
der Visionen eines Malers, die jener nicht einmal mit Drogen
bannen konnte. Ein Bild als Fenster zu einer Welt, in die Benno
sich gern geflüchtet hätte, und sei sie noch so
schrecklich. Sie war allemal besser als das, was die Leute
Realität nennen. Manchmal hatte Benno Angst davor, daß
er in ihr ersticken könnte. Er war süchtig danach, in
Geschichten zu leben.
    Herr Bandmann nahm die Erzählung mit nach Hause, Benno
hatte die Angewohnheit, alles mit der Hand zu schreiben, es dann
aber sauber abzutippen, für wen, wußte er nicht,
vielleicht nur als Fixierung, als Entäußerung, ein Weg
der Geschichte in das Leben, und am folgenden Tag kam sein
Kollege begeistert ins Büro. Benno, der immer sehr früh
mit der Arbeit begann, schaute pikiert auf, als Herr Bandmann ihm
auf den Rücken klopfte und sagte: »Alle Achtung, mein
Lieber! Ich habe mich wirklich gegruselt.«
    Da wußte Benno, daß es falsch gewesen war, die
Geschichte

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