Nosferas
beschäftigt, ein Kleiderbündel und ein in Leinen verschnürtes Paket, das verdächtig klapperte, in ihrer Schlafkiste zu verstauen.
»Was ist das?«, fragte Tammo.
»Nichts, was dich etwas angehen würde«, gab seine Schwester zurück und klappte den Deckel zu.
»Wahrscheinlich wieder so ein unnützes Menschenzeug«, sagte Tammo verächtlich und zog die Lippe hoch.
»Oh, es wird sich als ganz und gar nicht unnütz erweisen«, erwiderte Alisa und klopfte mit der flachen Hand auf ihre Kiste. »Da bin ich mir ganz sicher.«
Ein Mann stand in den Schatten der Nacht verborgen und beobachtete, wie die Bediensteten der Bahn mehrere längliche Behältnisse in einen Waggon luden. Die Holzkisten waren beinahe zwei Meter lang und nicht leicht, wie das Stöhnen der Arbeiter bewies. Ein Mann und eine Frau, die beide modisch, aber unauffällig in dunkle Farben gekleidet waren, überwachten die Arbeit. Sie hielten sich von den Gaslaternen am Bahnsteig fern, dennoch konnte er sehen, dass ihre Gesichter unnatürlich bleich waren, und ihren Körpern fehlte die warme Aura der Menschen.
Der Mann stand völlig reglos da, ja er blinzelte nicht einmal, während er den Fortgang der Arbeiten verfolgte. Nur einmal rückte er sein langes schwarzes Cape zurecht. Für einen Moment blitzte ein Ring an seinem Finger auf. Eine goldene Echse mit grünen Smaragdaugen. Dann verschmolz er wieder mit den Schatten.
Ein Schaffner in blauer Uniform trat auf die beiden Fremden neben dem Waggon zu und sprach mit ihnen. Seine goldenen Knöpfe schimmerten im Schein der Laternen. Er nickte den beiden knapp zu und schloss dann die schwere Eisentür ab. Die Bediensteten gingen davon, um weitere Gepäckstücke für andere Wagen zu holen, die mit gen Süden reisen würden. Die Frau legte ihre flache Hand auf die metallene Tür, senkte den Kopf und schloss die Augen, als würde sie mit irgendwem Zwiesprache halten. Ihre Augen waren von betörendem Blau. Eigentlich stand der Unbekannte viel zu weit weg, um das zu erkennen, und dennoch wusste er es. Als sie die Lider wieder hob, schien ihr Blick zu dem Schuppen zu huschen, in dessen Schatten er nun schon über zwei Stunden stand. Ihr Begleiter drehte sich zu ihr um und sagte etwas. Sie starrte noch einen Augenblick in die Dunkelheit, dann zuckte sie mit den Schultern und folgte dem Schaffner und ihrem Begleiter zurück in die Bahnhofshalle.
Der Beobachter blieb im Verborgenen. Es sah, wie andere Wagen heranrangiert und angekoppelt wurden. Die Arbeiter mit ihren Sackkarren und Leiterwagen verstauten Säcke und Kisten. Dann fuhr die Lock heran und wurde an die Wagen gehängt. Schwitzende Männer luden Kohle in den Tender. Der Mann im Schatten zuckte zusammen. Zum ersten Mal schien Unruhe über ihn zu kommen. Ein Flackern huschte über den Bahnsteig, als der Heizer begann, Kohle in die Feuerbüchse zu schaufeln. Der Kessel begann zu schnaufen, dann setzten sich die Räder langsam in Bewegung. Der Zug rollte vor das Bahnhofsgebäude und hielt dort an, bis die Reisenden auf dem Gleis die eisernen Trittleitern erklommen hatten. Dann endlich war es so weit. Eine Glocke schlug irgendwo Mitternacht, der Lokomotivführer riss an einer Schnur und ein Pfiff gellte durch die Nacht. Die beiden Heizer legten sich mit krummem Rücken ins Zeug, schaufelten immer mehr Kohle in die Büchse und machten dem Kessel ordentlich Dampf. Der Lokomotivführer lehnte sich aus dem Fenster und hob den Daumen, der Bahnvorsteher erwiderte das Zeichen. Eine letzte Tür fiel zu, dann fuhr der Zug ruckelnd an. Rasch nahm er Fahrt auf und schnaufte aus dem Bahnhof, nur eine Wolke aus Dampf und Ruß zurücklassend, die noch eine ganze Weile über den leeren Gleisen schwebte. In der Ferne war noch ein Pfiff zu hören, dann endlich legte sich auch über den Bahnhof die nächtliche Stille. Der Fremde wartete noch eine Weile, bis die Laternen am Bahnsteig verloschen, dann verließ er sein Versteck, durchquerte den Bahnhof und trat auf die Straße hinaus. Scheinbar ziellos streifte er durch die Stadt. Ein paarmal huschte der Schein einer Gaslaterne über den Mann und erhellte für einen Augenblick aristokratische Züge mit einer scharfen Nase unter der Krempe eines Zylinders. Er war groß, doch der Körper wurde fast völlig von seinem weiten Cape verhüllt. Einem aufmerksamen Beobachter wäre vielleicht aufgefallen, dass der Mann keinen Schatten warf. Aber außer ihm war niemand mehr auf der Straße unterwegs.
Die Lokomotive pfiff
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