Nosferas
alten Menschenfrau anhören?« Seigneur Thibaut fauchte leise.
»Wir müssen nicht«, gab Dame Elina zurück. »Wir können uns auch weiterhin vor der Wahrheit verschließen, denn dass sie die Wahrheit sagt, das ist wohl nicht zu leugnen!«
»Und was bringt uns das?«, fragte Baronesse Antonia, klappte ihren Fächer auf und gähnte gelangweilt.
»Vielleicht die Einsicht und den Willen etwas zu ändern?«, schlug die alte Druidin vor.
»Und das wäre?«, verlangte Baron Maximilian zu wissen.
»Gebt eure Isolation auf und lernt voneinander. Verbindet eure Stärken und merzt eure Schwächen aus.« Sie machte eine kleine Pause, ehe sie die Ungeheuerlichkeit aussprach: »Und lasst zu, dass sich eure Blutlinien vermischen.«
Die Vampire starrten die Druidin für einige Augenblicke sprachlos an, dann erhob sich ein Proteststurm. Der gegenseitige Hass der Clans, der über Jahrhunderte geschürt worden war, zerfetzte das dünne Gewand der Höflichkeit, das sie für diesen Abend übergeworfen hatten. Reißzähne wurden drohend gebleckt, die menschlichen Stimmen wandelten sich zum Gebrüll wilder Tiere. Die Druidin erhob sich und ging langsam zur Tür. Ihre Wölfe folgten ihr. Als sie schon im Türrahmen stand, wandte sie sich noch einmal um und hob ihren Stab. Die Vampire verstummten.
»Ich habe es geahnt, dass ihr verloren seid. Ihr seid zu alt - nicht eure Körper, aber euer Geist! Eure Hoffnung liegt in euren Kindern - euren letzten Kindern! Ich werde nun ein wenig am Ufer entlangspazieren und mit meinen Wölfen den Vollmond betrachten, der sich nach dem reinigenden Gewitter im Wasser spiegelt. Es ist eine herrliche Nacht! Ehe die Sonne aufgeht, komme ich zurück. Dann sagt mir, ob ihr meinen Rat annehmen wollt.«
Sie schloss die Tür, ihre Schritte verhallten. Die Stimmen der Vampire erhoben sich wieder, doch es fehlte ihnen an Kraft. Dame Elina ließ sich in ihren Stuhl fallen und lauschte auf die tobenden Gefühle in sich, die noch stärker waren als der Blutdurst nach jedem Erwachen. Sie spürte einen Blick auf sich ruhen und hob die Lider, bis ihre grauen Augen auf das dunkle Augenpaar gegenüber trafen. Donnchadh wich ihrem Blick nicht aus.
»Werden wir es schaffen?«, fragte Dame Elina leise, denn sie wusste, dass er sie trotz des Stimmengewirrs verstehen konnte.
»Nur wenn wir uns nicht länger gegen jede Veränderung sträuben. Die Welt wandelt sich immer schneller, doch wir sind schon lange stehen geblieben.«
»Können wir es schaffen?«, fragte die Führerin des Hamburger Clans fast beschwörend.
Der alte Ire überlegte. »Lady Tara ist eine weise Frau. Ich denke, sie hat recht. Unsere Kinder können es schaffen!«
DAS HAUS AM KEHRWIEDER
Die Sonne war eben erst hinter einem Wald aus Masten, Wanten und Segeln in der Elbe versunken, als Alisa den Deckel der länglichen Kiste aufklappte, in der sie die Zeit des grellen Tageslichts verschlief. Gähnend erhob sie sich von ihrem spartanischen Lager.
»Einen guten Abend wünsche ich, Fräulein Alisa«, ertönte eine Stimme. Ein großer, schlanker Mann um die Zwanzig kam auf sie zugeschlendert.
»Guten Abend, Hindrik.« Alisa konnte sich an keinen Abend ihres dreizehnjährigen Lebens erinnern, an dem er sie nicht mit diesen Worten begrüßt hätte. Und während sie sich mit den Jahren veränderte und von einem Kind zu einem jungen Mädchen heranwuchs, blieb Hindrik in seiner Gestalt unverändert, wie alle Servienten, die einst als Mensch gelebt und dann von einem Vampir der reinen Blutlinie verwandelt worden waren. Selbst sein Haarschnitt und seine Bartstoppeln, die bei seinem Tod drei Tage alt gewesen waren, blieben stets die gleichen. Den Versuch, sich zu rasieren oder sich eine modernere Frisur zuzulegen, hatte Hindrik längst aufgegeben. Einmal hatte er sich den Kopf völlig kahl geschoren, doch als er sich am Abend aus seiner Kiste erhob, war das Haar wieder lang und lockig gewesen wie immer. Wie alt er genau war, wusste Alisa nicht, nur dass er aus dem siebzehnten Jahrhundert stammte.
»Schläfst du denn gar nicht?«, fragte sie und unterdrückte ein erneutes Gähnen.
»Doch, natürlich Fräulein, jeden Tag wie ein Toter. Doch wenn ich erwache, bin ich ein wenig flinker als du.«
»Du hast auch mehr Übung«, konterte Alisa, zerrte sich ihr langes Leinenhemd über den Kopf und warf es in die Kiste. Dann zog sie eine ausgebleichte Hose und einen weiten Kittel an.
Genauso wenig, wie es sie überraschte, dass Hindrik schon auf war,
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