Notaufnahme
den Tisch, überflog meine Notizen und fand den Verweis auf die Schublade, die sowohl Unterlagen zu einer Reihe von ethischen als auch zu speziellen medizinischen Themen beherbergte. Ich öffnete die betreffende Schublade und entdeckte sofort den grünen Ordner mit der gesuchten Aufschrift.
Ich klemmte mir den Hörer unters Kinn und zog gleichzeitig einen ganzen Stapel Blätter aus der Pappmappe. »Volltreffer, Mercer. Sieht aus, als sei mit ›Met Games‹ Coleman Harper gemeint. Diese Unterlagen reichen weiter zurück als Dietrichs Personalakten. Sie stammen zum Teil aus Dogens erstem Jahr am Minuit. Harper hatte gerade seine Assistenzzeit beendet, wie er es uns berichtete. Nur geht aus diesen Aufzeichnungen hervor, dass es tatsächlich Gemma Dogen war, die seine Bewerbung für die Facharztausbildung boykottierte. Spector hat ihn am Metropolitan Hospital untergebracht, während er versuchte, Gemma umzustimmen.« Ich blätterte durch die Dokumente. »Spector warb um weitere Stimmen zugunsten von Harper, während Dogen jede Bewegung des jungen Arztes verfolgte. Es ist zu viel, um es jetzt am Telefon durchzugehen, aber es scheint, als habe sie jeden Fehler Harpers in den letzten zehn Jahren dokumentiert. Und das sind eine ganze Menge.«
»Zum Beispiel?«
»Ein paar Einzelheiten hat sie rot eingekreist – jemand, der Harpers fehlendes Geschick im OP bemängelte; ein anderer, der gegenüber Spector Harpers mangelhaftes medizinisches Grundwissen beklagte. Es ist klar, dass sie ihn auch dieses Mal nicht zur Facharztausbildung zugelassen hätte.«
»Gute Arbeit, Alex.«
»Ich bringe die Unterlagen mit. Auf dem Rückweg schaue ich noch im Minuit vorbei; vielleicht lässt mich der Sicherheitsdienst ja in Gemmas Büro. Dann könnte ich ihre Registratur dort unter die Lupe nehmen, bevor wir das nächste Mal mit Spector sprechen.«
»Das wirst du schön bleiben lassen, Alex. Wer weiß, wer sich dort an einem Sonntag so alles rumtreibt. Vergiss nicht, dass der Mörder noch auf freiem Fuß ist. Vielleicht hat DuPre etwas im Krankenhaus vergessen und kommt noch einmal dorthin zurück.«
»Mercer, ich komme doch ohnehin nur rein, wenn mir der Sicherheitsdienst die Tür aufschließt. Außerdem ist es hellichter Tag …«
» Nein. Hast du mich verstanden? Erstens wurde in diesem Raum vor nicht allzu langer Zeit eine Frau ermordet. Hast du das etwa schon vergessen? Und zweitens sind die Sicherheitsvorkehrungen in diesem Krankenhaus so löchrig wie ein Schweizer Käse. Du gehst auf dem schnellsten Weg nach Hause. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?«
»Und was ist, wenn Mike mich begleitet?«
»Du bist wirklich ein Dickschädel.«
»Gut bemerkt. Also, bis später.« Ich brachte es nicht fertig, ihm vorzugaukeln, dass ich nicht im Mid-Manhattan vorbeischauen würde. Ich war nur wenige Blocks entfernt und viel zu neugierig, was ich in Gemma Dogens Büro vorfinden würde – jetzt, wo ich wusste, wonach ich suchte. Ihre Wohnung konnte ich von der Polizei sichern lassen, so dass niemand sie betrat, auch wenn der Täter die Schlüssel besaß. Doch über ihr Büro hatte ich weitaus weniger Kontrolle. Wenn es jemand darauf anlegte, ihre Aktenschränke zu durchwühlen, war ich machtlos. Also musste ich schnell handeln.
Ich suchte die Ordner zusammen, machte das Radio aus und griff nach meinem Mantel. Bis zum fünfzehnten April waren es noch zehn Tage, und Coleman Harper wartete sicher schon gespannt auf die Entscheidung, ob er diesmal zur Facharztausbildung zugelassen werden würde. Ich fragte mich, inwiefern Gemmas Taktik, die Krankenhausverwaltung so lange über ihre Pläne im Unklaren zu lassen, mit Harpers Bewerbung und Gemmas nun schon zehn Jahre währenden Bemühungen, ihn vom Mid-Manhattan fernzuhalten, zusammenhing. Welch große Hoffnung setzte er darauf, es dieses Mal zu schaffen? Gab es andere Bewerber, denen Gemma ähnlich zugesetzt hatte? Gemma Dogen hatte sich mit ihren strengen Prinzipien eine Menge Feinde gemacht, und ich wusste nur zu gut, dass Rache ein nicht zu unterschätzendes Motiv war.
Ich wollte gerade die Türkette öffnen, als ich schräg hinter mir eine blitzschnelle Bewegung registrierte. Ich riss meinen Kopf herum und wurde im selben Augenblick brutal an die Wand gestoßen. Mein Kopf prallte gegen den Türrahmen, und ich fiel zu Boden. Fausthiebe prasselten wild auf mich ein, und ich schrie vor Schmerz auf. Instinktiv versuchte ich, meinen Kopf mit den Armen zu schützen. Die nächsten Schläge
Weitere Kostenlose Bücher