Notaufnahme
so viele Schubladen, dass ich nicht mehr wusste, in welcher ich die Unordnung vorgefunden hatte.
Ich öffnete irgendeine Schublade und ging auf der Suche nach mir nun möglicherweise vertrauten Namen sämtliche Karteireiter durch. Ich war gespannt, ob Gemma Dogen Informationen über die Männer, die wir inzwischen kennen gelernt und vernommen hatten, gesammelt hatte, und wollte natürlich auch Lieutenant Peterson mit der Neuigkeit, dass Gemma etwas über Jean DuPuy wusste, eine Freude machen.
Aber alles, was ich fand, waren medizinische Unterlagen und Ausschnitte aus Fachzeitschriften über Gehirnverletzungen und Operationstechniken. Ich warf einen Blick in meine alten Aufzeichnungen und stellte fest, dass sich in der dritten Schublade von links die Hängeordner der Kategorie »Berufsethik« befanden. Ich nahm einen Schwung heraus, trug sie hinüber zum Tisch und begann, sie durchzusehen.
Manche Unterlagen reichten Jahre zurück, fast bis in ihre ersten Tage am Minuit, und die Namen, die auftauchten, hatten mit den aktuellen nichts zu tun. Mit einem roten Stift hatte Dogen auf Kopien der offiziellen Bewerbungsunterlagen ihren Kommentar bezüglich der Eignung des jeweiligen Kandidaten für die Facharztausbildung festgehalten.
Ich schob den Stapel zur Seite und holte mir einen neuen Packen, von dem ich hoffte, dass er Dokumente jüngeren Datums umfasste. Um gleich bei den aktuellsten zu landen, nahm ich den Stapel von hinten in Angriff, doch als sich plötzlich die Beschriftungen änderten, begriff ich, dass ich schon in die nächste Kategorie gerutscht war.
Die Hängeordner, die nun vor mir lagen, waren in Gemmas Handschrift mit den Namen diverser Sportmannschaften versehen – die Saints, die Braves und die Redskins. Ich nahm die Büroklammern ab und öffnete die drei Pakete. Es waren Gemmas Notizen zu John DuPre. Schlagartig begriff ich ihr System. Der Mannschaftsname stand stellvertretend für die Stadt, in der sich die jeweilige akademische Institution oder der Arzt befand. Sie schien zu dem Schluss gekommen zu sein, dass die Informationen, die sie sich beschafft hatte, selbst Neugierige nicht interessierten, wenn sie sie mit den Namen von Sportmannschaften tarnte.
Siedend heiß fiel mir ein, dass in dem Briefing die Rede von weiteren Ordner mit ähnlicher Beschriftung gewesen war, die Polizisten in Müllcontainern auf dem Parkplatz des Krankenhauses gefunden hatten. Vielleicht war die Kartei in Gemma Dogens Wohnung nur ein Duplikat, das sie zur Sicherheit angelegt hatte.
Mein Fund versetzte mich in Aufregung. Ich wählte Chapmans Nummer, aber er war immer noch unterwegs. Ich bat ihn, mich in Gemmas Wohnung zurückzurufen, falls er innerhalb der nächsten Stunde nach Hause käme, und hinterließ ihm Gemmas Telefonnummer. Dann pagte ich Mercer an und wandte mich wieder dem Ordner über DuPre zu, während ich auf den Rückruf wartete.
»Wer spricht dort?« fragte Mercer, nachdem ich den Hörer abgenommen hatte.
»Alex.«
»Wo bist du? Die Nummer kam mir nicht bekannt vor.«
»Ich bin in Gemmas Wohnung. Peterson wird uns umarmen, wenn er erfährt, was ich hier gefunden habe.« Ich erklärte ihm, worauf ich gestoßen war und dass ich die Absicht hatte, meine Suche noch fortzusetzen. »Wann bist du wieder in der Stadt?«
»Anders herum gefragt: Wann soll ich denn da sein?«
»Lass es uns so machen: Ich nehme einen Packen Ordner mit, fahre bei Grace’s Marketplace vorbei, kaufe dort etwas Leckeres zum Abendessen ein, und wir sorgen dafür, dass die Woche gut beginnt.«
»Wie spät ist es jetzt? Halb drei. Um sieben kann ich bei dir sein.«
»Gut. Ich bin noch auf der Suche nach einem Ordner, den ‘wir damals zusammen hier gesehen haben. Ich glaube, er trug ‘die Aufschrift ›Met Games‹. Kannst du dich daran erinnern? Ich habe damals gesagt, dass Laura eine so unordentliche Kartei zuallererst mal auf Vordermann bringen würde. Mir ist leider entfallen, wo der Ordner steckte. Ich bin sicher, dass der auch etwas mit ihren geheimen Nachforschungen zu tun hat.«
»Er war in der Nähe von einem Ordner mit der Aufschrift ›degeneriert‹ oder so ähnlich – das ist mir noch im Gedächtnis geblieben.«
»Dieses Wort gehört eher in das Umfeld unserer Arbeit – wir haben es nicht selten mit Degenerierten zu tun. Aber in der Medizin spricht man von ›regenarativem Gewebe‹. Toll, ich wusste, dass du dich daran erinnern würdest.«
»Ich bleibe dran, während du nachsiehst.«
Ich legte den Hörer auf
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