Notbremse
Unsummen dafür auszugeben.«
»Das haben Sie rausgekriegt?« Häberle griff zu seiner Tasse und trank.
»Mithilfe von Lambert, ja. Er hat das in der Branche gehört und uns beauftragt, der Sache nachzugehen.« Der Detektiv lehnte sich müde zurück. »Wir sind bekannt für komplizierte Aufträge.«
»Und dann sind Sie nach Peking geflogen?«
»Ja, als Tourist sozusagen. Illegal, wenn man so will, ja.«
»Um dort Kontaktleute zu treffen?« Häberle gab sich ruhig, wie immer, wenn ihn etwas brennend interessierte.
»Dem gingen monatelange Recherchen voraus. Lambert hat mich als Vertreter eines fiktiven Pharmaunternehmens in die Szene eingeschleust – unter anderem auch ein bisschen an diesem See in Kiefersfelden, wo Rieders Leute ja bekanntermaßen oft verkehren. Außerdem hat er einen Chinesen ausfindig gemacht – ich glaub, er hat ihn bei einem Kongress kennengelernt –, der bei einem Pharmaunternehmen in Südtirol wissenschaftlich tätig ist.«
Hocke nahm einen Schluck Kaffee.
»Lio Ongu«, nannte Häberle den Chinesen beim Namen. »Der dann für Sie die Handys in Italien angemeldet hat.«
»Ja, natürlich. Sie wissen vielleicht, dass wir sehr professionell vorgehen. Keine Spuren, keine Identität. Ganz diskret und verschwiegen.« Er ließ ein gezwungenes Lächeln erkennen: »Wir wissen doch, wie Ermittlungsarbeit funktioniert.«
»Und Lambert hat Ihrem Bruder über Frau Ringeltaube einen Mietwagen aus Südtirol besorgt?«
»Das war auch Bestandteil unserer Sicherheitsmaßnahme. Wir durften keine Spuren hinterlassen – niemand sollte Verdacht schöpfen oder Rückschlüsse auf uns ziehen können. Das ist unsere Stärke.«
»Und dann wollten Sie in Peking die Hintermänner des Dopinggeschäfts treffen?«, bohrte Häberle vorsichtig weiter.
Hocke nickte. »Lambert, unser Auftraggeber, wollte die Strukturen kennenlernen und dann die Behörden informieren. Hier in Deutschland und in China. Er brauchte Beweise.«
»Und wie haben Sie sich Ihren Auftrag in Peking vorgestellt? Ich meine, es ist doch nicht einfach, sich mit den dortigen Gepflogenheiten auseinanderzusetzen.«
»Sie haben vollkommen recht, Herr Häberle. Ich hab mich auch intensiv drauf vorbereitet, auch mithilfe von Lio Ongu. Ich wollte mit meinem Kontaktmann in Peking die Modalitäten der Übergabe klären. Vor allem aber, wohin das Geld fließen sollte.«
»Das aber ging daneben?«
»Und wie!« Hocke berichtete von seinen nächtlichen Erlebnissen und dem vormittäglichen Treffen in der Verbotenen Stadt.
»Als dort eine Spezialeinheit aufgetaucht ist, hab ich gedacht, jetzt ist’s aus«, resümierte er schließlich. »Es hat dann auch eine ganze Zeit gedauert, bis geklärt war, dass ich auf ihrer Seite stand.«
»Die Spezialeinheit war demnach der Dopingorganisation bereits auf der Spur?«
»So muss es gewesen sein. Vermutlich bin auch ich gleich bei meiner Ankunft in ihr Visier geraten. Jedenfalls waren die Jungs ziemlich gut über mich und meinen Auftrag informiert.«
»So?«, staunte Häberle. »Sie meinen, da gab’s schon hier eine undichte Stelle?«
Hocke zuckte mit den Schultern. »Was soll ich dazu sagen? Wenn Sie erst mal in ein Wespennest stechen, haben Sie es mit Tausenden Angreifern zu tun.« Er holte tief Luft und schien sich erst jetzt des ganzen Ausmaßes bewusst zu werden. »Nun hat’s mein Bruder mit dem Leben bezahlen müssen«, sagte er plötzlich, während ihn ein Stimmungswandel übermannte.
»Ein schlimmes Schicksal«, pflichtete ihm Häberle leise bei, und er musste an einige Kollegen denken, die auch im Dienst umgekommen waren. Er suchte krampfhaft nach Worten, doch er griff aus Verlegenheit nach der Kaffeetasse. Manchmal war es besser, gemeinsam zu schweigen, um das Unfassbare zu akzeptieren.
Hocke war den Tränen nahe. »Sagen Sie mir, Herr Häberle, wie konnte das passieren?«
»Diese Frage«, erwiderte der Chefermittler langsam, »diese Frage wird Ihnen niemand beantworten können. Es ist eine Frage, die uns in solchen Fällen immer beschäftigt.« Und Häberle wiederholte sie langsam und leise: »Ja, wie konnte das passieren?«
Und es kam ihm die deutsche Version von ›Blowing in the wind‹ in den Sinn: ›Die Antwort kennt ganz allein der Wind‹. Wie oft hatten sie das als Jugendliche am Lagerfeuer gesungen und zum Sternenhimmel geschaut! Ein Berufsleben lang beschäftigte ihn diese Frage. Verbrechen waren so unsinnig wie Kriege. Warum taten sich Menschen das an?
Er nahm sich vor, diese Frage
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