Notluegen
hineinzuspähen.
So mussten sie auf die Idee gekommen sein, auch ihren Mann und die Frau des Mannes in das einzuweihen, was vorging. War es die Frau oder der Mann, der darauf kam? Oder entstand diese Absicht aus dem, was sie zusammen aus dem Alltag gemacht hatten? War der Gedanke schon da, sozusagen bereit, sich auszubreiten, sobald sie reif dafür waren?
Einweihen war jedoch nicht das richtige Wort. Die Absicht war ja nicht, die beiden Betrogenen wissen zu lassen, was hinter ihrem Rücken vorging, sondern nur, alle vier zusammenzubringen, so dass die beiden Unwissenden, der Anwalt und die Ehefrau des Mannes, rein physisch dabei präsent wären, aber genauso unwissend und ahnungslos wie zuvor bleiben würden, allerdings in kompromittierender Nähe zu dem, was ja immerhin ein Ehebruch war.
Der Herbst und die neue Saison waren schon weit fortgeschritten, als die Ehefrau des Mannes plötzlich wieder in die Oper gehen wollte. Auf dem Programm stand ein Ballettabend.
Das war die Gelegenheit, auf die der Mann gewartet hatte, und alles ging besser, als er zu hoffen gewagt hatte. Er ließ seine Frau allein gehen, und als sie nach der Vorstellung nach Hause kam, fast schon um Mitternacht, erzählte sie, es sei spät geworden, weil sie eine so entzückende Frau getroffen habe, auch sie ohne ihren Mann in der Oper, und wie sie sich beide dann in den Pausen und ziemlich lang nach der Vorstellung miteinander unterhalten hätten.
Seltsam, sagte die Frau, aber es ist, als hätten wir uns schon unser ganzes Leben lang gekannt.
Auch du wirst entzückt von ihr sein, sagte sie, und dann, dass die fremde Frau vorgeschlagen habe, die beiden Paare sollten sich treffen, wenn beide Familien nun schon zufällig ein Abonnement hätten, wir allerdings im Parkett, die Familie Berger in einer Loge im zweiten Rang, sagte die Frau des Mannes, stell dir vor, eine ganze Loge fast für uns allein, das lässt sich vielleicht irgendwann mal machen, erwiderte der Mann, ihr Mann ist Anwalt und sehr beschäftigt, fuhr die Frau fort, und dazu sagte der Mann nichts.
Kannst du dir vorstellen, sagte sie, eine so sympathische Frau mit einem so guten Geschmack, und der Mann fragte sich, wie sie sich an diesem Abend wohl gekleidet habe, und empfand auf einmal Mitleid mit seiner eigenen Frau; eine plötzliche innere Wärme machte ihn verlegen, und dieses gar nicht unangenehme Gefühl hatte er seiner Untreue zu verdanken.
Ja. Der Mann betrog sie, und bald würde er dafür und für sein Mitgefühl teuer bezahlen müssen.
Aber noch war die Katastrophe nicht eingetreten, und der Erfolg mit dem Treffen der beiden Frauen hatte ihn übermütig gemacht. Vielleicht hatte seine Geliebte recht, wenn sie meinte, die Opernkunst in Wien hätte nichts mit dem zu tun, was sich auf der Bühne abspielt, nur damit, was im Zuschauerraum oder am Büffet geschieht, in Wien zähle nichts anderes als die Erwartung, diese sonst leere Zeit ohne Regie oder Partitur, daher habe das Erlebnis eines solchen Opernabends eigentlich sehr wenig mit Kunst zu tun, eigentlich gar nichts, in Wien gehe man in die Oper, um zu sehen, wer zufällig da ist und mit wem.
Niemand geht ja in Wien in die Oper, um Verdi zu hören, hatte die Frau behauptet, sondern man geht, um hinterher sagen zu können, die Schlagtechnik des Dirigenten könne sich jedenfalls nicht mit der von Karajan messen, musikalische Finessen, über die der Wiener auch ohne die geringste Sachkenntnis stets eine Meinung habe, und hinsichtlich ihres eigenen Falls hatte sie recht gehabt; worauf sie sich eingelassen hatten, das hatte nichts mit der Bühne zu tun, vielmehr mit dem, was sich erst abspielt, wenn der Vorhang aufgeht und die Dunkelheit sich über das Publikum im Zuschauerraum herabsenkt, ein Publikum, das keine andere Wahl hat, als dort in dem lähmenden Schlagschatten sitzen zu bleiben, den jede große Kunst wirft.
Aber der Mann brauchte eine Oper, die seinen Zielen diente. Nicht nur der Zuschauerraum, auch die Bühne musste im Dunkel liegen. Auf der Jagd nach dem Dunklen und Finsteren in der Opernkunst begann der Mann, das Repertoire zu durchforsten. Zuerst hatte er an Wagner gedacht. Aber der Anwalt konnte Wagner nicht leiden, er mied ihn, und wenn er sich in St. Pölten oder Bregenz aufhielte, hätte alles keinen Sinn. Für das, was zur großen Vorstellung des Mannes werden sollte, war diese sonst überflüssige Person unentbehrlich, da der Mann, genau wie der Wiener, die Vorstellung in den Zuschauerraum verlegen
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