Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Notluegen

Notluegen

Titel: Notluegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Swartz
Vom Netzwerk:
Triumphbogen des Kaisers Franz Joseph, ja, flüsterte der Mann, so ist es, ich will dich in der Oper nehmen.
    Vor ihnen lag die Hofburg, und draußen auf dem Heldenplatz sagte der Fahrer, er habe einmal einen Mann gefahren, der gesagt hätte, schon der Anschlag eines großen Pianisten erlaube es, auf seinen Charakter zu schließen, darüber hatte der Fahrer lange nachgedacht und wollte jetzt fragen, ob das wirklich wahr sein könne, und vom Rücksitz wurde ihm das bestätigt, ja, sagte die Frau, genauso ist es; und der Mann sah auf die Uhr, sie hatten immer noch reichlich Zeit, der Verkehr floss tatsächlich auf diesem Umweg, als ob weder Regen noch Gewitter zu erwarten wären, obwohl ein fast bleigrauer Himmel seit mehr als einer Stunde tief über der Stadt Wien hing; und unter der Kuppel drinnen in der Hofburg wiederholte die Frau das, was sie draußen auf dem Ring gesagt hatte, du willst mich also heute Abend in der Oper nehmen, aber diesmal in einem Tonfall, als versuche sie sich an das zu gewöhnen, was sie schon auf dem Ring ausgesprochen hatte, und gerade als die Frau das gesagt hatte, flog ein Taubenschwarm unter der Kuppel auf und hinaus in dieselbe Richtung wie das Taxi, vielleicht auf der Suche nach einem sichereren Schutz vor dem Unwetter, bevor die Dämmerung hereinbrach, wie flatternder Ruß stiegen die Vögel zum Regenhimmel über dem Michaelerplatz auf, du bist wohl nicht ganz bei Sinnen, flüsterte die Frau sacht, ohne den Mann anzusehen; aber von der Seite und obwohl der Abend schon über der Stadt lag, meinte er ein dünnes, stilles Lächeln in ihrem Gesicht wahrzunehmen, ein Lächeln mit einer Spur von Erwartung, jedenfalls fand der Mann, es sähe so aus; und immer noch in der Herrengasse, bevor das Taxi das Palais Kinsky erreicht hatte, rutschte die Frau plötzlich auf dem Rücksitz des Taxis nach unten, ungefähr so wie sie auf dem Sofa im Café Sperl der Hand des Mannes geholfen hatte, über den Schenkel nach oben zu gleiten, obwohl sich hier keine Hand auf den Schenkel gelegt hatte, aber mit ihren eigenen Händen musste die Frau unter den aufgeknöpften Pelz gegriffen haben, bevor sie sich auf dem Rücksitz nach vorn in den Fußraum des Autos beugte, und als sie sich wieder zurücklehnte, das Taxi war jetzt am Ende der Herrengasse, fast bei der Albertina, hielt sie etwas in der Hand, was sie dem Mann gab, ein Spitzenhöschen: schwarz und so klein, dass es einer Schlafpuppe gepasst hätte.
    Ein Höschen. Und der Mann steckte es in die linke Hosentasche, obwohl er nichts sammelte, niemals Menschen verstanden hatte, die Freude daran haben, auf Flohmärkten nach alten Keksdosen oder silbernen Kaffeelöffeln zu suchen, aber dort, im Taxi vor der Albertina, verspürte er vielleicht zum ersten Mal die Lust zu einer eigenen Sammlung, in verschiedenen Farben und Größen, schwarz, weiß oder fast durchsichtig von einer Art, die eher das entblößt, was sie doch zu verbergen bestimmt ist, und als er sie da in der Dämmerung von der Seite ansah, war er sich seiner Sache sicher, ja, ein amüsiertes, fast unmerkliches Lächeln lag auf ihren Lippen.
    Schon von der Albertina aus konnte man sehen, wie lange Reihen von regenblanken Taxis sich der Oper näherten, ölig schwarz glänzten sie, mehr von diesem wienerischen Regen als vom letzten Licht des Tages, hab ich’s nicht gesagt, meinte der Fahrer, stolz über seine Kenntnisse des Wiener Verkehrs.
    Und das stimmte, auf Taxifahrer und Friseure kann man sich in dieser Stadt immer verlassen, meine Herrschaften, sagte der Fahrer, durch die Hofburg ist der einzig mögliche Weg bei solchem Wetter, und dann war man am Ziel.
    Der Platz vor der Oper war abgesperrt. Polizisten schritten neben einem dunkelroten Teppich, der bis zum Eingang über den Asphalt gelegt worden war, auf und ab. Keiner der Polizisten trat auf den Teppich, und einige von ihnen hatten Trillerpfeifen, die jeden beliebigen Opernliebhaber zu Tode erschreckt hätten, aber keiner blies hinein, das ganze Gebiet war abgesperrt wie ein Tatort während der Spurensicherung, vielleicht erwartete die Polizei einen Ölscheich oder einen ausländischen Staatsbesuch; und an der Seite der Frau des Anwalts in ihrem Pelz, der sie größer erscheinen ließ als gewöhnlich, schritt der Mann über den ausgerollten roten Teppich ins Opernhaus hinein, und die Zuschauer, nicht mehr als etwa zwanzig, die unter ihren Regenschirmen auf die hohen Gäste warteten, applaudierten dem Mann und der Frau, so dass der Mann viel

Weitere Kostenlose Bücher