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Notluegen

Notluegen

Titel: Notluegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Swartz
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ließen sich buchstäblich auf frischer Tat ertappen, seitens des Mannes eher aus Instinkt und zuweilen mit bösen Ahnungen, seitens der Frau, wie der Mann glaubte, deshalb, weil es fast nichts gab, was sie fürchtete, nicht einmal ihren Ehemann.
    Dieser Alltag im Wiener sechsten Bezirk war dazu bestimmt, sie zu schützen, und in ihm ruhte der Betrug wie die Stille im Auge des Orkans.
    Der Mann zeigte der Frau, wo man die besten Aprikosen kaufte, und sie war dankbar, denn sie selbst kaufte gewöhnlich welche eine Querstraße weiter und von schlechter Qualität. Er machte sie mit dem syrischen Schneider in der Millergasse bekannt, der von einem Tag auf den andern kürzt und ändert, nahm sie mit zum Metzger, der gleichmäßig dicke Koteletts hackt und überflüssiges Fett von den Filets abschneidet, ohne dass man darum bitten müsste, und die Frau war überrascht, hingerissen von so viel Freundlichkeit und plötzlichem Entgegenkommen, war sie doch daran gewöhnt, mit etwas ganz anderem im Papier nach Hause zu kommen, als sie es erwartet hatte.
    Er zeigte ihr Läden und Cafés, in denen man nicht ständig betrogen wurde oder auf der Hut sein musste, vom Verkäufer oder Kellner nicht über den Tisch gezogen zu werden wegen seiner Gutgläubigkeit, die auch in einer europäischen Großstadt wie Wien noch zu Hause ist; erst in der Gesellschaft des Mannes begann die Frau zu ahnen, wie oft sie früher betrogen worden sein musste, dass der Betrug in dieser Stadt seit langer Zeit zum System gehörte, dass Verschlagenheit und nicht Zufall der Grund gewesen war, warum ihre Rosen schon am nächsten Tag welkten, die Naht fast gleich wieder aufplatzte, der gestern frische Fisch sie mit einem schmutziggrauen, trüben Auge anstarrte, als sie ihn am nächsten Tag aus dem Kühlschrank nahm.
    Der Mann hatte es sich in den Kopf gesetzt, ihr auch die verstecktesten und geheimnisvollsten Orte in diesem Viertel zu zeigen, die keiner mehr besuchte, und so standen sie auf einmal vor einer Brandmauer oder einem verschalten Brunnen auf einem Hinterhof, die Latten waren schon längst schwarz geworden und vermodert. Solche Latten und verwitterter Stein hatten es dem Mann angetan, Keller und ganze Häuser, die aufgegeben waren.
    All das wollte er ihr jetzt zeigen, nichts auslassen, und hatte sogar für alles, was sie sahen, eine Erklärung zur Hand, und dank der Fürsorglichkeit des Mannes begann die Frau, die Welt mit anderen Augen zu sehen, also so, wie sie ist, und nicht, wie sie gesehen werden will, und zu dem Mann sagte die Frau, sie wisse nicht, wie sie eine so durchtriebene und vor allem böswillige Verstellungskunst auf Dauer ertragen solle, ob sie genug Kraft haben würde, täglich so viel Misstrauen gegenüber ihren Mitmenschen aufzubringen.
    Das wäre ja, als würde man jeden Tag mit einem Teller vergifteter Suppe beginnen, sagte die Frau.
    Bald wurde sie missmutig. Die Welt zu sehen, wie sie wirklich beschaffen ist, war deprimierend und anstrengend, vor allem aber trostlos. Ein richtiges Vertrauen wollte sich nicht mehr einstellen, nachdem sie zusammen mit dem Mann ihre Unschuld verloren hatte; wie soll ich in Zukunft eine Wurst kaufen, ohne mich zu sorgen, ob sie nicht mit Sägespänen und Mehl gefüllt ist, sagte sie. Früher hatte sie keine solchen Zweifel gehabt. Auf einmal dachte sie weniger schlecht über Vegetarier. Plötzlich war alles um sie her zu Betrug und Verrat geworden, und nur eine Sache beruhigte in dieser neuen Welt, die ihr früher verborgen gewesen war, sich ihr aber jetzt durch die Fürsorglichkeit des Mannes erschlossen hatte: dass ihr eigener Mann sich noch in der alten, in der ahnungslos gutgläubigen Welt befand und deshalb auch nicht auf den Gedanken kommen würde, dass seine eigene Ehefrau diese für immer verlassen hatte.
    Für immer?
    Ja. Genau so hatte die Frau es ausgedrückt. Sie hatte den Arm des Mannes fester umfasst, wie sie da nebeneinander die Millergasse entlang zur Mariahilfer Straße gingen, und die Endgültigkeit, mit der sie ihren Austritt aus der alten Welt und den Eintritt in diese neue verkündet hatte, machte den Mann nervös, als hätte dieser Austritt genauso viel mit ihm zu tun wie mit dem Anwalt.
    Und alles war so leicht gewesen, so ohne Anstrengung, als wäre der Unterschied zwischen diesen beiden Welten nicht mehr als ein vermoderter Zaun, der in dem Moment zusammengestürzt wäre, als man sich dagegengelehnt hätte, und sei es nur, um von der einen in die andere Welt

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